Die Pflanzenmalerin
zerstritten. Vielleicht konnte Cook sich’s nicht verkneifen, Banks vor den Leuten daheim ein bisschen schlecht zu machen.«
Katya klappte das Buch zu und legte es wieder auf den Stapel.
»Wie auch immer - weiter bringt uns das nicht«, sagte sie. »Der Ulieta-Vogel war damals noch gar nicht entdeckt. Aber als Cook am Ende seiner Reise wieder in die Gegend kam, hatte er ihn an Bord. Was wissen wir über die Zeit danach?«
Das war leicht zu beantworten, denn was wir wussten, war praktisch gleich null. Es war, als würde man einen Kriminalroman lesen, aus dem alle Seiten, auf denen die Mordverdächtigen vorkommen, herausgerissen sind. Und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass am Ende - wenn wir überhaupt an ein Ende gelangen würden - wahrscheinlich Anderson derjenige sein würde, der die Lösung des Rätsels präsentierte. Anderson selbst schien allerdings der Ansicht zu sein, wir müssten etwas wissen, und so schoben wir unsere Kaffeebecher zusammen und fuhren fort, das Material zu sichten.
Das Problem war simpel. Uns war bekannt, dass Banks den Vogel geschenkt bekommen hatte, kurz nachdem die Endeavour nach England zurückgekehrt war. Latham hatte ihn in den Jahren darauf in seiner Sammlung gesehen. Vier Jahre später aber hatte ein französischer Ornithologe namens Malbranque ebendiese Sammlung monatelang studiert, in seinem Katalog aber nichts aufgeführt, was auf den Ulieta-Vogel hindeutete. Und auch nirgendwo sonst war er je wieder erwähnt worden.
Blieben noch zwei Jahre, über die wir nichts wussten, eine Lücke, in der ein ganz nebenbei verschenkter Vogel ganz nebenbei verschwunden war. Zwei Jahre, in denen sich die Londoner Society in Banks’ Haus am Soho Square ein Stelldichein gegeben hatte. Banks hatte Listen aller Objekte angelegt, die er anderen Sammlern oder Gelehrten überlassen hatte, doch der Ulieta-Vogel tauchte darin nicht auf. Irgendwann musste er entweder vernichtet oder aus dem Haus am Soho Square fortgeschafft worden sein, um die folgenden rund zweihundert Jahre - wenn man Anderson Glauben schenken durfte - irgendwo still darauf zu warten, von jemandem, der wusste, wo er suchen musste, entdeckt zu werden.
Während ich die diversen Daten notierte, sah Katya auf die Uhr. Mir fiel ein, dass sie noch anderes zu tun hatte.
»Und was machen wir als Nächstes?«, fragte sie.
Ich lächelte und holte ein leeres Blatt hervor.
»Ein Spiel. Nach Michaels’ Zeichnung zu schließen, ist eine Frau in die Sache verwickelt. Was für Frauen haben zu dem Zeitpunkt, als der Vogel verschwand, in Banks’ Leben eine Rolle gespielt? Wir schreiben alle, die uns einfallen, hier auf. Das sind alles Verdächtige. Wenn er den Vogel einer von ihnen geschenkt hat, könnten wir nachprüfen, was aus ihren Sammlungen geworden ist. Vorausgesetzt, sie hatten welche.«
»Das gefällt mir.« Katya lächelte breit und nahm ihre Notizen. » Cherchez la femme . Wir sind verrückt, klar, aber das gefällt mir.«
Fünf Minuten lang versuchten wir, uns auf Namen zu besinnen. Die ersten hatten wir schnell: Banks’ Mutter, seine Schwester Sophia, Harriet Blosset und einige Damen der Gesellschaft, deren Namen wir notiert hatten. Irgendwo würde es auch Porträts von ihnen geben für den Fall, dass wir uns aufrafften, danach zu suchen. Dann legten wir eine Pause ein.
»Noch jemand?«
»Es gab da eine Geliebte«, sagte Katya schließlich. »Nach seiner Verlobung. Ich hab was über sie gelesen, aber ihren Namen nicht aufgeschrieben.«
Ich nickte. Ich hatte ihn auch nicht notiert.
»War sie 1776 noch aktuell?«
Katya packte ihre Sachen zusammen.
»Ich glaube nicht, aber schreib sie mit auf, und wenn auch nur, um... Wie nennt sich das?«
»Sie aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen?«
Katya erhob sich lächelnd. »Genau, das hab ich gemeint. Dann werden wir also die Porträts suchen! Und jetzt komm«, sie wies mit dem Kinn zum Hauptsaal des Museums, »ich möchte mich mal umsehen.«
Ich schaute auf unsere Liste der Verdächtigen. »Joseph Banks’ Geliebte«, fügte ich unten an. Und dann setzte ich noch ein Fragezeichen dahinter.
Es lag eine gewisse Ironie in der ganzen Sache. Mein Großvater hatte die besten Jahre seines Lebens für die Suche nach einem afrikanischen Pfau geopfert - was jedem eine Warnung sein sollte, der Dinge aufspüren möchte, die möglicherweise gar nicht existieren, zumal wenn er nicht weiß, wo er überhaupt suchen soll. Vielleicht wäre es auch nie so weit gekommen, wäre da
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