Die Pflanzenmalerin
brachen. Und als er dort stand und all die Schönheit in sich aufnahm, überkam ihn Traurigkeit, eine schmerzliche Melancholie, die aus ihm hervorströmte, bis sie die ganze Nacht zu erfüllen schien.
Anfangs begriff er nicht. Nachdem er aber eine Weile unter den Bäumen gestanden hatte, wurde ihm bewusst, dass der Augenblick selbst ihn betrübte, die flüsternde Mondnacht, die ihm niemals gehören würde. Wie viele Vögel und Pflanzen er auch im Frachtraum der Endeavour ansammelte - diesen vollkommenen Augenblick an diesem Ort würde er nicht mit nach Hause nehmen können. Da dachte er an sie und an ihr Zeichnen, und er wusste, dass er sie, wäre sie hier gewesen, genau hier gefunden hätte: am Wasser, jede Nuance der Nacht in ihrem Innern bewahrend.
Wie zum Ausgleich für den langen Sommer hielt sich der Winter in Revesby, bis der März fast vorüber war. Als die Fastenzeit kam, waren die Bäche noch zugefroren, die Erde zu hart zum Graben. Schweigsam wartete sie darauf, dass der Frühling die Belagerung durchbrechen würde. Ihr Vater atmete jetzt ruhig, doch jeder seiner Atemzüge war unter Schmerzen erkämpft. Sie war entschlossen, ihn noch ein letztes Mal den Frühling spüren zu lassen. Wenn sie ihn wusch, sprach sie vom Tauwetter, zeichnete helle, warme Bilder für ihn, als könnten ihre Worte ihm Lebenswillen einhauchen. Dann trat sie ans Fenster und blickte zum dunklen Himmel auf, hinüber zu den noch immer nicht knospenden Bäumen.
Der erste Todesfall dieses Jahres aber war nicht der, den man in Revesby erwartet hatte. Ende März starb Dr. Taylor, überlebt von dem Mann, den er auf eigene Kosten am Leben erhalten hatte. Der Verlust traf das Dorf schwer, und zum Begräbnis kamen die Menschen aus fünf Kirchspielen. Sie blieb zu Hause, trauerte an dem Bett, an dem der Arzt so oft gesessen hatte. Der Schock seines Todes verlieh ihrer Einsamkeit eine neue Dimension.
Martha betrachtete das eingefallene Gesicht des Kranken und das Eis an den Fenstern und beschloss zu bleiben. Die Vorräte in der Speisekammer würden noch bis zum Frühling reichen, dann würde man weitersehen. Gefangen in ihrem Leid, dankte ihre Herrin ihr mit den Augen, sprach aber kaum. Besorgt fragte sie sich, woher das Geld für die nächste Beerdigung kommen sollte.
In London wartete auch Harriet Blosset. Während der ersten Monate nach Banks’ Abreise trug sie die Lage, in der sie sich befand, wie ein Trauergewand. Bei Bällen und anderen Tanzvergnügen war sie bezaubernd in ihrem Kummer und liebreizender denn je. Sie brachte ihre Tage damit zu, Weste um Weste für ihn zu stricken, erkannte aber bald, dass sie keine Penelope war, und als die Saison voranschritt, erwies sich, dass sie eine zu hübsche Witwe war, um ewig in Schwarz zu gehen. Keiner, mit dem sie tanzte, so sagte sie sich, war wie Banks, und doch waren die jungen Männer, die sie bedrängten, charmant und so viel näher. Sie begann, auf ihre Art zu leiden, ein Leiden, das darum nicht minder schmerzte. Monat um Monat verstrich, und auch sie lernte, was Zeit bedeutete und wie man sie maß.
In Revesby mochte der Sterbende auf das Zureden der Tochter gehört haben. Gelbe Krokusse blühten vor seiner Tür in der Nacht, als sie an seinem Bett erwachte und sah, dass er von ihr gegangen war.
8
Ein Brief und einige Prospekte
Ich brauchte vierzig Minuten, um meine Universitätstermine der nächsten drei Tage abzusagen, und weitere zwanzig, um mein Motorrad für eine längere Fahrt startklar zu machen. Wieder in der Küche, hatte ich gerade Wasser aufgesetzt, als Katya nach Hause kam. Ich fing sie im Flur ab und machte ihr erst eine Tasse Tee, ehe ich ihr den Umschlag hinschob. Sie öffnete ihn vorsichtig - schließlich konnte sie nicht wissen, ob er gute oder schlechte Nachrichten enthielt.
Zwei Blätter lagen darin. Das erste war die grobkörnige Fotokopie eines Briefumschlags - die George-V.-Marke war deutlich zu erkennen, der Stempel verwischt und nicht zu entziffern, die kräftige schräge Schrift dagegen gut lesbar.
Miss Martha Ainsby,
The Old Manor,
Stamford,
Lincs
Das zweite war die Kopie eines Briefes in derselben schrägen Schrift.
Savoy Hotel, 17. Januar 1915
Meine liebe Martha,
Colonel Winstanley hat Wort gehalten, und ich bin jetzt in London. Leider musste alles sehr schnell gehen, sodass mir keine Zeit mehr blieb, Dir zu schreiben und Dich rechtzeitig zu verständigen, geschweige denn, Dich zu besuchen. Ich bin erst seit etwas über acht Stunden
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