Die Pflanzenmalerin
sie.
»Und aufs Sachenfinden.« Ich nickte, aber ich war mir gar nicht sicher, ob das immer dasselbe war.
An diesem Abend betranken wir uns ganz fürchterlich. Um uns herum füllten sich die Tische, Kerzen wurden angezündet, und irgendwo im Dunkeln schluchzten knisternde Aufnahmen alter italienischer Schlager. Wir merkten kaum, wie schnell der Abend verging. Als die erste Flasche fast leer war, begann Katya von sich zu erzählen. Ihre Familie hatte acht Jahre in London gelebt, wo ihr Vater an der Universität lehrte. Als sie vierzehn war, kehrten sie nach Schweden zurück, und kurz darauf ging die Ehe ihrer Eltern in die Brüche. Danach hatte sie vier oder fünf Jahre gegen beide rebelliert, war von der Schule abgegangen, hatte in einem besetzten Haus gewohnt und alles getan, was Eltern am wenigsten mögen.
»Und was hat sich dann verändert?«
»Ich. Als ich ungefähr neunzehn war.« Sie deutete ein Lächeln und ein Achselzucken an. »Irgendwann ist mir klar geworden, wie mies und langweilig mein Leben war. Ich fing an, ganze Tage in der Bibliothek zu sitzen und zu lesen. Angeblich wegen der Wärme, weil ich sonst nirgendwohin konnte, aber dann hab ich abends Bücher rausgeschmuggelt, um weiterlesen zu können. Schließlich hab ich mich gefragt, wen ich eigentlich bestrafen will, und mich eine Woche später wieder in der Schule angemeldet. Aber vorher hab ich meinem Vater noch einen langen, wütenden Brief geschrieben und ihm gesagt, dass ich ihm deswegen noch lange nicht verzeihe.<
Der Abend verschwamm ein wenig. Es wurde leerer in dem Lokal, aber wir saßen in unserem kleinen Lichtkreis und merkten es kaum. Wir unterhielten uns über Geschichte und Politik und fragten uns laut, ob Joseph Banks die unbekannte Frau geliebt und ob sie seine Liebe erwidert hatte. Irgendwann lehnte Katya sich zurück, sah mich unter ihrem Pony hervor ernst an und fragte mich, warum ich es mir anders überlegt hätte und den Vogel jetzt doch finden wollte.
»Wer sagt denn, dass ich mir’s anders überlegt habe?« Irgendwie merkte ich, dass ich nicht mehr ganz klar im Kopf war.
»Du hast es dir doch anders überlegt. Klarer Fall. An dem Abend nach dem Einbruch warst du dir noch nicht so sicher.<
Sie beugte sich wieder vor und schob ihren Kopf schräg in mein Blickfeld, sodass ich sie ansehen musste.
»Wahrscheinlich hab ich gedacht, Anderson hätte sowieso die Nase vorn.<
»Und jetzt denkst du das nicht mehr?«
»Es ist so, wie er sagt. Auf so einen Fund war ich schon immer scharf. Die ganzen Jahre. Wahrscheinlich hat er gewusst, dass ich’s noch mal probieren muss.« Ich dachte einen Moment nach. Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem es keine Rolle mehr spielte, ob ich Unsinn redete oder nicht. »Manchmal wird jemand geboren, und dann stirbt er und ist ein für alle Mal weg. Ich meine, man kann sich noch so anstrengen, ihn in Erinnerung zu behalten - von dem Tag an verliert man ihn doch. Am Ende bleiben einem nur noch Bruchstücke, kleine Fragmente von Erinnerungen und Gefühlen.« Über die Kerze hinweg sah ich sie achselzuckend an. »Und die sind dann alles, was wir haben, und wir sollten sie aufbewahren.<
»Meinst du Leute? Oder Vögel?«
Ich zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich beides.«
Sie berührte meine Hand, sagte aber nichts. Im Kerzenschein sah sie sehr hübsch aus.
»Und dann gibt es natürlich noch einen anderen Grund, warum ich den Vogel finden will«, fuhr ich feierlich fort.
Sie nahm ihre Hand weg und runzelte die Stirn. »Und welchen?«
»Also, wenn dieser Vogel Cook und Banks überlebt hat und dann auch noch all die Kriege und Feuersbrünste und Überschwemmungen, dann werde ich verdammt noch mal nicht zulassen, dass Anderson ihn an irgendeinen Labormenschen verkauft, nur weil der die vage Hoffnung hegt, ihn auseinandernehmen und irgendwann wie ein leicht modifiziertes Huhn präsentieren zu können.«
Sie lachte, und ich musste über mich selbst lachen, und danach weiß ich nicht mehr viel, nicht einmal, wie wir in unsere Zimmer kamen. Nur an einen Moment erinnere ich mich noch, als ich oben an der Treppe stand und Katya ansah und es ganz leicht gewesen wäre, das Foto auf meinem Nachttisch zu vergessen und auch das kahle Zimmer von damals mit dem zerwühlten Bett und dem Ventilator. Leicht, überhaupt alles zu vergessen. Ein nebelhafter, flüchtiger Moment, schon vorbei, ehe ich auch nur auf die Idee kam, ihn festzuhalten.
Nur wenige Stunden später weckten mich ein anhaltendes, schmerzhaftes
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