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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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stoße?«
    Er stellte seine Taschen ab, holte das Porträt wieder hervor und betrachtete es mit frisch erwachter Neugier. »Aha«, murmelte er. »Es ist also doch wichtig.<
    »Ich weiß auch nicht mehr als Sie«, sagte ich fast wahrheitsgemäß. »Es ist nur... Ich habe eben kaum Anhaltspunkte.<
    Einen Moment sah er mich an und legte das Blatt dann auf den nächsten Tisch. »Es gehört Ihnen. Behalten Sie’s.« Er nahm seine Taschen wieder auf. »Ich mache mir immer Kopien.«
    Als er gegangen war, blieb ich noch in der Bar sitzen, rauchte und trank Tee, bis Katya kam. Sie holte sich Obstsaft und Müsli, und während sie aß, betrachtete sie das Bild und lauschte dem Bericht von meinem Frühstück mit Potts. Sie wirkte erstaunlich frisch nach der kurzen Nacht. Fast ehrfürchtig schaute ich ihr beim Essen zu. Manchmal vergisst man, wie schön Jugend sein kann.
     
     
    Die Sonne schien an jenem Nachmittag in Louth, und der kleine Kirchhof war erfüllt vom Sommer. Niemand anderer trat durch das Tor, und die hohen Hecken dämpften die schläfrigen Laute der Stadt. Seite an Seite saßen die beiden Gestalten nahe dem hohen Gras, und nur das Summen der Insekten und das Rascheln der Vögel im Laub waren zu vernehmen.
    Er hielt den Blick nach vorn gerichtet, während sie sprach, auf die bemoosten Grabsteine, den Honigstein der Kirchenmauer. Dann und wann verstummte sie und betrachtete sein Profil, noch immer staunend, dass er hier war, fast überzeugt, einer Täuschung erlegen zu sein.
    »Als wir uns zuletzt sahen«, begann sie, »lag mein Vater im Sterben. Er stürzte in den Straßengraben, betrunken und im Zorn. Es ist in Revesby allgemein bekannt, dass er John Ponsonby attackiert hat, an seinem eigenen Tisch, vor seiner Frau und seinen Töchtern. Sie haben gewiss davon gehört. Er schlug ihn mit der Faust, glaube ich, als Mr. Ponsonby ihm entgegentreten wollte. Einzelheiten kann Ihnen jeder in Revesby nennen. Von einem Mann wie meinem Vater wurde nichts anderes erwartet: ein Ungläubiger, einer, der seine Tochter frei durch die Wälder streifen ließ. Den Grund, weshalb mein Vater an jenem Abend zu Ponsonby ging, kennt natürlich niemand. Er tat es, weil er alles, was er besaß, an Ponsonby verkauft hatte und ihm an dem Tag klar geworden war, dass der Verkauf auch seine eigene Tochter mit einschloss.«
    Wieder gestattete sie sich, ihn zu betrachten. Er saß vorgebeugt, die Arme auf die Knie gestützt. Seine Augen konnte sie nicht erkennen, aber sie sah die angespannte Linie seines Kinns und bemerkte, wie er sich die Knöchel rieb. Er spürte ihr Zögern und wandte sich ihr zu, doch sie vermochte den Ausdruck seiner Augen nicht zu deuten. Mit gesenktem Blick fuhr sie fort:
    »John Ponsonby ist beileibe kein schlechter Mensch, auch wenn ich das zuweilen geglaubt habe. Wenn ich Ihnen von ihm erzähle, müssen Sie mir versprechen, nichts gegen ihn zu unternehmen, nichts weiterzutragen.«
    Banks wandte den Kopf ab und rieb sich den Nacken. »Selbstverständlich«, erwiderte er mit ausdrucksloser Stimme. »Bitte fahren Sie fort.«
     
    Sie war fast vierzehn gewesen, als Ponsonby auf sie aufmerksam wurde. Eines Spätnachmittags im Sommer, als er sich Revesby zu Pferde näherte, hatte er sie von fern erblickt. Ihr weißes Kleid hob sich vom Grün der noch sonnenbeschienenen Hecken ab, und die schlanke, aufrechte Gestalt, die dort allein auf dem Weg ging, weckte sein Interesse. Von ihrer Haltung her eine Lady, dachte er, nur wäre eine Lady nicht ohne Begleitung unterwegs; für ein Dorfmädchen aber wirkte sie entschieden zu damenhaft. Im Näherkommen spürte er den Reiz solch gepflegter, einsamer Weiblichkeit, und er setzte sein Pferd in Trab.
    Ponsonby war kein Libertin von Natur, doch seine Geschäfte führten ihn weit über die sittenstrengen Grenzen des Dorfes hinaus, und auch nach seiner Heirat hatte er nie ganz aufgehört, den Gepflogenheiten wohlhabender junger Männer zu frönen. Das war nichts Ungewöhnliches; was sein privates Verhalten anbelangte, hielt er sich weder für besser noch für schlechter als seinesgleichen. Er hatte seine Liebschaften jedoch stets auf diskrete Distanz von seinem Heimatort gehalten. Der Gedanke, Revesby selbst könnte eine Frau beherbergen, die seine amourösen Instinkte ansprach, war ihm nie gekommen. Deshalb erschrak er ein wenig, als er die Gestalt auf dem Weg einholte und in ihr die Tochter eines seiner Gläubiger erkannte, ein Mädchen von kaum vierzehn Jahren. Unter dem Vorwand, sie zu

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