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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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ihr den Rücken zu, und seine Haartracht hatte sich verändert. Sie musste sich irren. Es war zu unwahrscheinlich, zu unmöglich. Jeder Gedanke an Flucht ging in ihrem Zögern unter. Keine acht Meter trennten sie von ihm, und der Drang, ihn zu beobachten, war übermächtig. Sie hörte Martha hinter sich herannahen und hob die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. Stumm stand sie da, schaute zu, wie er den grünen Stein bearbeitete, und erkannte mit einem Mal staunend, was er dort abschabte. Die Worte entschlüpften ihr, ehe sie überhaupt entschlossen war zu sprechen.
    Beim Klang ihrer Stimme wandte er sich so unvermittelt um, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Sie stand am Friedhofstor, schlank und aufrecht, und sah zu ihm her. Schatten verbargen sie halb, und doch war ihm der Anblick sofort vertraut, Gestalt und Gesicht genau so, wie er sie in Erinnerung hatte. Ein schönes Gesicht, dachte er plötzlich, obgleich er es nicht immer so gesehen hatte. Dann bewegte sie sich, das Licht fiel anders auf sie, und im helleren Sonnenschein nahm er Veränderungen wahr. Sie war blasser als früher, und die Sommersprossen, nach denen er Ausschau hielt, waren weniger geworden und nicht mehr so ausgeprägt. Als hielte sie sich zu viel im Haus auf, dachte er.
    Er ging auf sie zu, und sie wich zurück, verharrte dann aber mit ernster Miene, und ihre Augen begegneten den seinen. Er öffnete den Mund, setzte zum Sprechen an und wollte ihren Namen rufen, doch da schüttelte sie den Kopf und hob die Hand.
    »Nein, Sie dürfen mich nicht so nennen. Ich trage hier einen anderen Namen.<
    Er blieb stehen, nur einen Schritt von ihr entfernt.
    »Sie sind verheiratet?«
    Kaum merklich schüttelte sie erneut den Kopf.
    »Nein, ich bin nicht verheiratet. Man kennt mich hier als Miss Brown.« Unverwandt hielt sie den Blick auf ihn gerichtet. Er sah sich verlegen um, unschlüssig, was er tun oder sagen sollte. Dann trafen sich ihre Blicke wieder.
    »Unsere Bekanntschaft war sehr kurz, Miss Brown. Es gibt zu wenige Pflanzenmaler auf der Welt, als dass ich sie ignorieren dürfte, wenn ich ihnen begegne. Noch weniger als zu der Zeit, da ich Sie zuletzt sah. Ich würde sehr gern hören, wie es Ihnen ergangen ist.<
    Einen Moment lang senkte sie den Blick.
    »Martha«, sagte sie dann mit einer Geste zu der Bank am Friedhofstor. »Bitte warte dort. Ich habe Mr. Banks etwas zu sagen.«
    Er bot ihr den Arm. Als sie ihn nahm, ließ ihn die Berührung ihrer Hand innehalten, dann setzte sie sich in Bewegung, und ein wenig befangen traten sie aus dem Schatten.

9
    Rätsel
    Erst am folgenden Abend redeten Katya und ich über Banks’ Geliebte. Wir verbrachten den Tag auf der Touristenroute, fuhren im schwachen Sonnenschein von Tudor-Landsitz zu georgianischem Gebäudekomplex, zahlten Eintritt und stellten Fragen. Im Grunde ist jeder von uns imstande, sich den Herausforderungen einer Suchaktion zu stellen, und an diesem Tag waren Katya und ich voller Energie und ließen zu keiner Zeit den Mut sinken. Katya tat sich besonders hervor. Als wir das Old Grange bereits für die Saison geschlossen vorfanden, marschierte sie frech zum Eingang und schreckte eine perlenbehängte Frau auf. In Pulkington Hall stöberte sie einen rotgesichtigen Glatzkopf auf, den ihr Interesse so entzückte, dass er darauf bestand, uns sein Gewächshaus zu zeigen. Doch keiner von beiden hatte je von den Ainsbys gehört.
    Nicht alles war geschlossen. In Radnors schauten wir bei der Käseherstellung zu, und in Fairbanks hinterließen wir im hohen Gras am Pixie Glen unsere persönlichen Kornkreise. Eines der Häuser war reich bestückt mit Kästen voller - größtenteils viktorianischer - ausgestopfter Vögel, die wir zur Verwunderung des Hausverwalters genauestens in Augenschein nahmen. Um fünf färbten sich die Felder grau, und als wir über fremde Straßen nach Stamford zurückfuhren, schrumpfte unsere Welt auf den Lichttunnel unserer Scheinwerfer zusammen. Plötzlich fing Katya an zu lachen.
    »Hast du das Gesicht von der Frau gesehen, als du ihr zu ihrem ausgestopften Moorhuhn gratuliert hast?<
    Bei dem vergnügten Glucksen in ihrer Stimme hätte ich gern gelächelt, doch stattdessen verdrehte ich die Augen und schnitt eine Grimasse. »Was hätte ich sonst sagen sollen? Immerhin hat sie mich dabei erwischt, wie ich auf ihrem antiken Stuhl stand und mir das Huhn angesehen habe.« Jetzt musste ich auch lachen. »Wenigstens«, rächte ich mich, »hab ich mit niemandem geflirtet.

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