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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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grüßen, hielt er neben ihr an und musterte sie. Nichts Außergewöhnliches, wie er fand: fast noch ein Kind, die Züge weder schön noch sonst bemerkenswert. Dann aber sah er ihre Augen, so tief und grün, und fragte sich, ob er nicht gänzlich im Irrtum sei.
    Von diesem Tag an fiel sie ihm immer häufiger ins Auge. Er sah sie in den Wäldern oder beim Blumenpflücken an den Hecken, stets allein, anmutig und geschmeidig, seinen Blick aus ihrem klaren, furchtlosen Antlitz kühn erwidernd. Er begann bei ihrem Vater vorzusprechen, was sonst kaum jemand im Dorf tat. Der Mann zeigte sich dann gesprächig oder mürrisch, die Tochter stets kurz angebunden, bis hin zur Schroffheit.
    Sie spürte sein Interesse vom ersten Augenblick an und suchte ihn instinktiv zu meiden. Wo immer sie einander begegneten, sah sie die Fragen in seinen Augen, und in Gesellschaft hatte das Lächeln, das er ihr vorbehielt, etwas Komplizenhaftes, als teilten sie ein Geheimnis. Schlimmer noch: Bei Ponsonbys Besuchen wurden häufig Papiere unterzeichnet. Dann hob sich die Laune ihres Vaters, und er trank ungehemmter. Sein Schuldenberg wuchs, und sie fühlte, wie sich die Schlinge zuzog. Doch selbst noch während sie ihren Vater langsam dem Ruin entgegengehen sah, empfand sie ihre Liebe zu ihm wie einen stärker werdenden Schmerz. Je fehlbarer er wurde, desto mehr liebte sie ihn. Ponsonbys Aufmerksamkeiten erregten ihren Unmut, zugleich aber war sie ihm dankbar für das Geld, das es ihrem Vater erlaubte, sich auf seine Weise Frieden zu erkaufen. Und wenn Ponsonbys Lächeln ein Geheimnis zwischen ihnen beiden andeutete, so vermochte sie es im Grunde nicht zu leugnen. Beide beobachteten ihren Vater und warteten ab.
    Sie war fünfzehn, als das Gespräch, das sie in ihren Gedanken lange vorweggenommen hatte, schließlich stattfand. Es war im späten Frühjahr, und vor der Tür blühten noch gelbe Krokusse. Ponsonby hatte bemerkt, dass ihre Figur in diesem Jahr alles Kindliche verloren hatte, und da er die radikalen Reden ihres Vaters nicht ganz abtun konnte, fürchtete er, man könnte ihm zuvorkommen, wenn er noch länger wartete. Was er vorzuschlagen gedachte, erfüllte ihn nicht eben mit Stolz, doch das Mädchen weckte eine Verzweiflung in ihm, die er weder verstehen noch abschütteln konnte. Und so wartete er, bis sie allein war, und ging dann zu ihr.
    Sie wusste sogleich, dass dies kein Besuch wie die anderen war. Doch sie war ihres Vaters einzige Freundin, sie zählte erst fünfzehn Jahre, und so sah sie keine andere Möglichkeit, als ihn einzulassen. Als sie ihm in den kleinen Salon vorangehen wollte, fasste er ihren Arm und zog sie nahe zu sich heran. Bei seiner Berührung hielt sie inne, als könnte ihr, wenn sie ganz still stand, nichts geschehen. Sie nahm den Tabakdunst in seinen Kleidern wahr und selbst den schwachen Sandelholzduft seiner Haut. Diese Gerüche sollten sie später stets an ihn erinnern.
    Ihr Körper so dicht vor seinem versetzte ihn in eine plötzliche Erregung, die ihn in seinem Vorhaben bestärkte. Er hatte noch gezögert, jetzt aber überkam ihn brennende Eifersucht bei dem Gedanken, dieses weiche, zitternde Wesen könnte einem anderen gehören als ihm, und ihm wurde bewusst, wie sehr er sie begehrte.
    »Bitte«, begann er, »ich habe Ihnen etwas zu sagen.«
    Mit gesenktem Kopf stand sie reglos da.
    »Ich habe Sie hier unbeachtet aufwachsen sehen«, fuhr er fort. »Und ich schwöre Ihnen, Sie sind ein wertvollerer Mensch, als irgendjemand an diesem Ort je ahnen wird. Sie haben eine Schönheit, die man hier nicht erkennt, einen Intellekt, den man hier nicht versteht. Sie sind anders. Und Sie sind fehl am Platz hier, bei einem Vater, der keine Rücksicht auf Sie nimmt, in einem Haus, das kein wohlanständiger Mensch je betreten wird. Sie haben keine Zukunft, keine Aussicht auf eine ehrbare Heirat, weil es Ihrem Vater Vergnügen bereitet, Sie zu einer nicht heiratsfähigen Frau zu machen. Vor jedem, der es hören will, prahlt er, dass er Sie heidnisch erzogen, Ihnen keine Regeln und keine Religion vermittelt habe, die Ihre natürlichen Leidenschaften hemmen würden. Die Frauen im Ort halten Sie für eine Dirne, die Männer wissen, dass Sie bettelarm sind. Sie verbieten ihren Töchtern, mit Ihnen zu reden - Sie könnten sie verderben.«
    »Ich habe nicht den Wunsch, mit ihnen zu reden«, erwiderte sie ruhig und noch immer mit gesenktem Kopf.
    »Was kann die Zukunft Ihnen also bieten?« Er sprach leise, fast bittend. »Es bricht

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