Die Pflanzenmalerin
wirken ließ.
»War sie allein?«
»Nein, Martha war bei ihr, Sir, die Frau, die ihren Vater gepflegt hat.«
Banks blickte mit ernster, ein wenig strenger Miene auf.
»Danke, Nicholson, das ist sehr interessant. Nur führt es uns weit ab von einer angemessenen Schätzung der Holzbestände hier …<
Damit kehrten die beiden Männer auf den Weg zur Abtei zurück, um ihre Inspektion fortzusetzen, und auf der Lichtung blieben nur der Sonnenschein und zwei kleine Vögel zurück, die eilig auf den Waldboden hinabflatterten.
Weitere drei Tage vergingen, ehe Banks Zeit fand, nach Louth zu reiten. Viele Male sagte er sich, es gebe keinerlei Anlass für einen solchen Besuch, doch das hielt ihn nicht ab. Ihm war bewusst, dass die Geschicke seiner früheren Nachbarn ihn nichts angingen, aber sein Aufenthalt im Wald hatte Erinnerungen wachgerufen, und in nachdenklicher Stimmung lenkte er sein Pferd auf den Marktplatz von Louth. Mit gefurchter Stirn saß er ab.
Er sprach bei Freunden vor und erkundigte sich nach ihr. Sie waren hocherfreut, ihn zu sehen, und nötigten ihn zum Tee, zu einem Glas Wein oder zum Essen, doch keiner konnte ihm Auskunft geben. Als Nächstes versuchte er es bei einem Freund seines Vaters, einem Friedensrichter, der die Stadt und deren Umgebung besser kannte als irgendjemand sonst. Banks’ Frage schien ihn zu befremden.
»Höchstwahrscheinlich ist sie verheiratet«, meinte er. »Wahrscheinlich kenne ich sie unter einem anderen Namen. Du warst zu lange fort, Joseph, da ist vieles nicht mehr so, wie es einmal war. Vermutlich ist sie inzwischen Mutter zweier strammer Knaben. <
»In der Tat.« Banks lächelte unsicher. »Es war auch nur so ein Gedanke. Wäre Ihnen ihr Aufenthalt bekannt, hätte ich ihr gern mein Beileid zum Tode ihres Vaters ausgesprochen.<
»Gewiss«, erwiderte der Ältere. »Sehr anständig von dir. Wie wäre es, wenn wir nun von dem vorzüglichen Portwein kosten, den mir mein Neffe geschickt hat?«
Erst eine Stunde später war Banks wieder frei. Er wusste nicht recht, wie er weiter vorgehen sollte, und kam sich wegen der Unbedachtheit seines Unternehmens ein wenig närrisch vor. Er überquerte den Marktplatz und steuerte auf die Kirche zu, in deren Nähe Nicholson sie gesehen haben wollte. Es roch nach Hitze in der Stadt an diesem stickigen Spätnachmittag, und Banks war froh, eine Weile im kühleren Schatten des Friedhofstores sitzen zu können. Nach Marktschluss schien die ganze Stadt in der Hitze verstummt zu sein, und der Kirchhof versprach Schatten und Abgeschiedenheit. Das Gotteshaus war alt, es hatte einen eindrucksvollen Turm und war am Fuß der Mauern grün bemoost. Banks ließ den Blick über die Grabsteine schweifen, von denen einige schief und von Flechten überzogen, andere rein und markant waren. Ein lauschiger Ort. Er erhob sich und begann, um die Kirche herumzuschlendern. Vor einigen der Grabsteine blieb er stehen, um ihre Inschriften zu lesen, froh, an etwas anderes denken zu können als an seine Narretei. Dann kehrte er zu einem hohen grünen Stein zurück, der unweit des Tores ins Gras gesunken war. Er schien noch älter als die anderen zu sein, und seine Inschrift war nicht zu entziffern. Banks kauerte sich nieder und kratzte mit den Fingernägeln an der Flechte, welche die Namen der hier Ruhenden verbarg. Ganz in sein Tun vertieft, arbeitete er schnell, und ein erster Name war schon fast lesbar, als er hinter sich eine Stimme vernahm:
» Lichen pulmonarius .«
Nachmittags, wenn die Hitze auf der kleinen Stadt lastete und der Kirchhof Frieden versprach, kam sie häufig hierher. Um diese Stunde war es still hier, und nur selten begegnete sie einem Menschen.
Als sie jedoch an diesem ganz normalen Nachmittag im Juni, zu einer Zeit, da es in der Stadt ruhig war, das Tor durchschritt, sah sie eine Gestalt an einem Grabstein kauern. Sie erkannte Banks augenblicklich, tief aus ihrem Innern heraus, und der Schreck machte sie wehrlos. In den Tagen, bevor ihr Vater starb, hatte sie sich oft ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie ihn wiedersah, sofern es je dazu kommen würde. Aber das war vor langer Zeit gewesen, in Revesby, bevor ihr Leben sich verändert hatte. Nie hatte sie sich vorgestellt, ihm hier in Louth zu begegnen. Selbst nachdem sie aus dritter Hand erfahren hatte, dass er wohlbehalten zurückgekehrt war, hatte sie ihn aus ihren Gedanken verbannt. Es war einfacher so.
Als sie ihn nun auf dem Kirchhof erblickte, konnte sie erst nur schauen. Er wandte
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