Die Pflanzenmalerin
führte. Es war bereits vier Uhr vorbei, zu spät für das Archiv, und so hob ich meine Tasche aus dem Auto, schwang sie mir über die Schulter und machte mich auf den Weg den Hügel hinauf, um mir eine Unterkunft zu suchen. Ich kam mir vor wie auf Urlaub und wollte die Zeit genießen. Nach einer Weile fand ich ein feudales kleines Hotel in dem Gässchengewirr direkt unterhalb der Kathedrale, die Art Hotel, in der jedes Zimmer anders aussieht und Wände und Fußböden nicht immer im rechten Winkel aufeinander treffen. Die Rezeption war mit dicken roten Teppichen ausgelegt und hatte eine Theke von der altmodischen Sorte, mit Klingel und Gästebuch statt eines Computers. Der Raum war warm und roch nach Holzfeuer, und irgendwo hörte man leises Flaschenklirren, als würde gerade die Bar aufgefüllt. Das Hotel war sündhaft teuer, aber das war mir in dem Moment egal. Mir war so leicht zumute, und wenn das alles eine Schnapsidee war, dann sollte es wenigstens eine Schnapsidee vom Feinsten sein.
Am Abend aß ich in einem kleinen Restaurant in der Nähe und las dabei in einem zerfledderten Kriminalroman aus der Hotelbibliothek. Nach dem Essen saß ich noch lange in der Bar am Kamin, trank große Gläser Brandy und fand, dass auf der Welt alles in Ordnung sei. Und so war es auch, jedenfalls bis zum nächsten Morgen, als ich meine Tasche an der Rezeption abstellte und mich auf den Weg zum Grafschaftsarchiv machte. Es war ein freundliches, modernes Gebäude, und man war dort durchweg so hilfsbereit wie schon zuvor am Telefon. Eine bebrillte Frau mit einem sympathischen Gesicht kontrollierte meinen Leseausweis, und ich musste ein Rechercheformular ausfüllen.
»Gemeinde Revesby 1750«, las sie, als ich es ihr zurückgab. »Kein Problem.« Ihr Kugelschreiber schwebte einen Moment über dem Formular. »Und welchen Namen suchen Sie? Nur für unsere Akten.«
Ich zögerte, und sie blickte auf. »Das weiß ich eben nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Ich weiß nur, dass er mit B anfängt und mit N aufhört. Er könnte fünf Buchstaben haben, aber nicht mal das weiß ich genau.«
Sie zog die Brauen hoch - wahrscheinlich degradierte sie mich in diesem Moment vom ernsthaft Recherchierenden zum komischen Kauz. Trotzdem zeigte sie mir, wo die betreffenden Mikrofilme zu finden waren, und überließ mich dann meinem Schicksal.
Ich hatte Recht gehabt: Revesby war ein kleines Dorf gewesen. Mich interessierte das Geburtenregister, und es bedurfte keiner langwierigen Sucherei, um alle zwischen 1750 und 1760 geborenen Mädchen zu finden, deren Namen in Frage kamen. Meine Liste für Revesby sah folgendermaßen aus:
1. Jan. 1750
Mary, uneheliche Tochter von [keine Angaben]
29. Sept. 1753
Mary, Tochter von Richard Burnett & Ehefrau Elizabeth
18. April 1756
Mary, Tochter von James Browne & Ehefrau Susanna
20. Feb. 1757
Mary, Tochter von William Burton & Ehefrau Anne
18. Jan. 1761
Elizabeth, Tochter von James Browne & Ehefrau Susanna
Als ich mich zurücklehnte und die Liste betrachtete, hätte ich nicht sagen können, was ich nun herausgefunden hatte, außer einer ausgeprägten Vorliebe der Gemeindemiglieder von Revesby für den Namen Mary. Bei den Familiennamen sprang mir zunächst Burton ins Auge, aber es gab auch einen Browne - das E am Ende kümmerte mich nicht allzu sehr; die Schreibweise war fließend damals, und das E konnte später weggefallen sein. Mary Burton und Mary Browne waren beide noch jung gewesen - zwölf oder dreizehn -, als Banks zu seiner Reise aufbrach, und beide konnten später zu Miss B. herangewachsen sein. Als ich den Mikrofilm zurücklaufen ließ, merkte ich, dass meine Finger leicht zitterten. Ich hatte das Gefühl, auf eine Fährte gestoßen zu sein.
Mein nächster Schritt war eine Kontrollrecherche. Da ich aus dem Town & Country Magazine wusste, dass Miss B. während Banks’ Reise verwaist war, sah ich mir das Sterberegister von Revesby an. Narrensicher war das natürlich nicht - Miss B.s Vater konnte ganz woanders gestorben sein -, aber es war einen Versuch wert. Ein rascher Blick auf die fraglichen Jahre ergab nur vier Sterbefälle männlicher Erwachsener, darunter aber William Burton.
12. Jan. 1768
James Turner
7. Nov. 1768
William Burton
25. März 1769
Dr. Taylor
12. April 1769
Richard Burnett
Ich schrieb mir die Namen auf, und in meinem Innern stellte sich ein aufgeregtes Kribbeln ein. James Browne schied aus, weil er noch achtzehn Jahre gelebt hatte. William Burton aber war drei Monate nach
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