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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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Banks’ Abreise gestorben, also kam seine Tochter Mary in beiden Fällen infrage... Viel war das nicht, ein schwacher Anhaltspunkt nur, aber meine Hände wurden ein wenig feucht, als ich die Daten notierte. Wenn ich richtig lag, wenn Mary Burton der Name der Frau auf dem Bild war, dann hatte ich endlich etwas in der Hand. Ich konnte nach London zurückfahren und versuchen, ihre Spur durch die Archive zu verfolgen. Und wenn Hans Michaels richtig lag, dann konnte man, wenn man sie fand, auch den Ulieta-Vogel finden.
    In meinem Überschwang ließ ich die übrigen Register durchlaufen; meine Augen lechzten nach weiteren Details. Doch dieser unbedachte Impuls brachte meine ganze Theorie zum Einsturz. Um mich herum blickten noch dieselben ernsten Gesichter auf dieselben Bildschirme, und meines war jetzt nur noch eines von ihnen. Die Erregung war weg, verpufft von einem Augenblick zum nächsten. Mary Burton war neben ihrem Vater begraben worden - nur sechs Monate nach Joseph Banks’ Rückkehr nach England.
    Ich hätte bleiben und versuchen können, mir eine neue Theorie zurechtzulegen, die zu diesen Fakten passte, aber ich hatte noch die lange Heimfahrt vor mir, und so trug ich meine Niederlage mit Fassung. Wenn Mary Burton nicht Miss B. war, dann war die Sache mit Revesby wohl auch nur eine Sackgasse. Das Einzige, was mich weiterbringen konnte, war vielleicht doch, die Ainsbys aufzuspüren. Ich verstaute meine Listen in meiner Jackentasche, bedankte mich bei der Bibliothekarin, die mir geholfen hatte, und ging durch den milden, feuchten, tiefgrünen Nachmittag Richtung Kathedrale. Es war Viertel nach drei, als ich ins Hotel kam, um meine Tasche zu holen. Viertel nach drei ist eine gespenstische Zeit in der Hauptstadt einer Grafschaft. Die Essenszeit ist seit halb drei vorbei, und um drei sind auch die letzten Nachzügler verschwunden. Die Gäste, die etwas unternehmen wollen, sind weg, die anderen, die nichts vorhaben, machen wahrscheinlich in ihren Zimmern ein Nickerchen. Eine schwere Stille legt sich über alles, die Uhren ausgenommen; sie nutzen die Gelegenheit und ticken lauter.
    Diese Art von Stille empfing mich, als ich an die Empfangstheke trat, und mein herausforderndes Klingeln unterbrach sie kaum. Meine Tasche stand hinter der Theke, aber da ich sie mir nicht einfach greifen wollte, wartete ich, an das dunkle Eichenholz gelehnt, und betrachtete müßig die diversen Prospekte und Veranstaltungshinweise. Nach einer Weile fiel mein Blick auf das Gästebuch, das noch dort aufgeschlagen war, wo ich mich als Letzter eingetragen hatte. Ich wollte mich schon wieder abwenden, als mir ein bekannter Name ins Auge fiel: Mecklenburg. Ich sah noch einmal hin, und mein Herz begann schneller zu schlagen: Mecklenburg Hotel. Die Worte standen in der Spalte »Adresse«, und links davon las ich, in schöner Schrift geschrieben, den Namen Karl Anderson. Ich sah nach dem Datum. Anderson hatte sich vor einer Woche hier einquartiert und noch nicht wieder ausgecheckt. Er musste geradewegs aus London gekommen sein, am Tag, nachdem ich ihn kennen gelernt hatte. Er hatte London verlassen und war nach Lincoln gereist. Er war hierher gekommen, um den Vogel zu suchen.
     
    Erst spät kam ich wieder zu Hause an. Als ich die Haustür aufschloss, klingelte das Telefon, doch bis ich sie wieder zugemacht hatte, war das Klingeln verstummt. Es hinterließ eine unbehagliche, irgendwie beklemmende Stille. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.
    Diesmal war nichts durcheinander, es gab keine eingeschlagene Scheibe, keine Glasscherben. Nur einen kaputten Riegel an einem Küchenfenster, dessen verzogener Rahmen aufgehebelt worden war. Nicht einmal einen Fußabdruck auf dem Lack oder einen vom Abtropfbrett gestoßenen, zerbrochenen Teller. In dumpfer Ungläubigkeit registrierte ich alles: das offene Fenster, den kaputten Riegel, die in die Winternacht hinausströmende Wärme. Und plötzlich packte mich die Wut. Kein Schreck, kein Entsetzen, nur unbändige Wut über diese Unverfrorenheit. Mir war kalt, ich war müde, ich fühlte mich einsam, und dieses Haus war meine Zuflucht. Wie konnte jemand es wagen, gewaltsam hier einzudringen? Was mich am meisten ärgerte, war absurderweise das offene Fenster. Ich hatte in der warmen Behaglichkeit des Raumes schwelgen wollen, und die vergeudete Wärme war mehr, als ich verkraften konnte.
    Ich zog das Fenster zu und machte mich an eine rasche, nüchterne Inspektion. Fieberhaft dachte ich nach. Wer immer das

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