Die Pflanzenmalerin
nicht den Vogel selbst?«
Anderson zog die Brauen hoch.
»Das letzte Exemplar ist ziemlich weit von Lincolnshire entfernt gelandet. Mein Rechercheur hat es heute gesehen und bringt mir morgen die Polaroids.«
Potts runzelte die Stirn. »Bei allem Respekt, Mr. Anderson, aber mir scheint, Sie sind nicht viel besser dran als wir. Es gibt keine Garantie, dass der Vogel bei der Auktion versteigert worden ist.«
Anderson nickte, aber sein Gesicht verriet keine Besorgnis. »Die Familie Stamford war durch den Krieg hoch verschuldet, Mr. Potts, und ihre Gläubiger kannten kein Pardon. Martha Stamford durfte nur ihren persönlichen Besitz behalten, das geht aus den juristischen Unterlagen eindeutig hervor. Alles andere wurde verkauft.«
»Aber sie könnte den Vogel doch ohne weiteres vorher verschenkt haben, meinen Sie nicht?«
»Sicher«, erwiderte Anderson, »aber ich halte mich an die Wahrscheinlichkeiten. Sie könnte ihn verschenkt haben, aber weshalb hätte sie das tun sollen? Sie könnte ihn privat verkauft haben, aber das hätte man ihr wohl kaum durchgehen lassen, und ein solcher Verkauf ist auch nirgends registriert. Es besteht die Möglichkeit , dass der Vogel das Old Manor schon vor dem Verkauf verlassen hat, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er es nicht getan hat, ist größer. Und wenn er es nicht getan hat und ich ihn entdeckt habe... Nun, wir alle wissen ja, dass diese Roitelet-Bilder nie irgendwo aufgetaucht sind.«
»Was ist, wenn der Vogel auf den Fotos, die Sie morgen sehen, nicht der Ulieta-Vogel ist?«, fragte ich.
Er sah mich gerade an. »Dann ist er wirklich verschollen, und es wäre nicht sinnvoll, noch weiter danach zu suchen. Aufs Geratewohl die Dachböden des Landes zu durchforsten wäre kaum rentabel, Mr. Fitzgerald. Es sei denn, Sie haben eine Idee, wie man die Suche eingrenzen könnte.«
Jetzt sahen wieder alle mich an. Ich wandte mich Katya zu; sie schaute mir in die Augen. Ich senkte den Blick auf meine ineinander verschlungenen Finger.
»Nein«, antwortete ich schließlich. »Sie haben Recht. Wenn er nicht mit versteigert worden ist, kann er weiß Gott wo sein.«
Aus irgendeinem Grund heiterte mich dieser Gedanke beträchtlich auf.
Mehr noch als den Sturm fürchtete sie die Pein der Ankunft. Als es aber so weit war, ließ die Schönheit der Insel erst gar keine Furcht aufkommen. Schon beim ersten Blick darauf, der ersten Wahrnehmung ihres Duftes, den der Wind nicht angekündigt hatte, war sie von schierem Staunen überwältigt. Als die Robin näher heransegelte, erkannte sie Einzelheiten der Bäume und Gehöfte, und eine ungekannte Freude stieg in ihr auf. Etwas berührte sie so tief in ihrem Innern, während sie dort stand und schaute, dass sie wusste, sie würde nie wieder dieselbe sein.
Die letzte Meile hielt sich die Robin dicht an der Küste, und sie ließ die Strände und verstreut liegenden Häuser an sich vorüberziehen, im Hintergrund stets die grünen Berge. Als sie in den Hafen einliefen, erwartete sie, in Panik zu geraten, doch stattdessen ging sie wie in Trance von Bord und nahm das geschäftige Treiben der Menschen kaum wahr, denn ihr Blick wanderte über sie hinweg zu den Häusern, aus denen sie gekommen waren. Die Stadt erschien ihr strahlend und berauschend, obgleich die Berichte, die sie gelesen hatte, nichts dergleichen erwähnten. Die Häuser, die sich um den Hafen drängten, waren entweder schneeweiße Würfel oder notdürftig zusammengezimmert aus verwittertem Holz. Die Geräusche der Stadt waren ganz und gar neu für sie, und selbst bekannte Laute wurden von mahnenden Zurufen in einem Wirrwarr fremder Sprachen begleitet. Sie hatte von dem Schmutz und der Verkommenheit ausländischer Häfen gelesen, aber der Geruch, den sie wahrnahm, als sich der Hafen um sie schloss, schien zu dem Ort zu passen - Teer, Hitze und Menschen, vermischt mit einem Gestank nach Schlamm und im Wasser treibendem Unrat. Einer ihrer Mitreisenden hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase, sie selbst aber atmete den Geruch mit Freuden ein, nahm ihn in sich auf und bewahrte ihn in ihrem Gedächtnis. Die grünen Hügel über der Stadt, noch dunstverhangen, verhießen eine Frische, die ihr ein Lächeln entlockte.
Der Junge von der Robin sorgte dafür, dass ihr Gepäck ausgeladen wurde, und ein anderer Junge aus dem Haus, in dem sie wohnen sollte, stand zu ihrem Empfang bereit. »Senhor Burnett?«, fragte er und sah dabei nicht in ihr Gesicht, sondern auf ihre Taschen. »Bitte
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