Die Pforten der Ewigkeit
gelogen hatten, dass sie keine wandernden Steinmetze waren, die sich aus Arbeitsmangel als Steinbrecher verdingten, um über den Winter zu kommen. Es war ihr schon klar gewesen, bevor Wilbrand ihr gesagt hatte, dass er die drei für Lügner hielt und dass sie sie dennoch anstellen sollten, weil der kleine Mann, der die große Rede geführt hatte, etwas von Steinen verstand, und das war mehr, als man von jedem Einzelnen sagen konnte, den sie hier vor Ort als Arbeiter hatten bekommen können. Sie war froh gewesen, dass er zugestimmt hatte; in dem Moment, in dem sie Rogers gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass sie sich sonst über Wilbrands Zweifel hinweggesetzt hätte, nur um zu verhindern, dass Rogers wieder ging.
»Sie tragen die Gewänder von hochrangigen Johannitern«, hatte Wilbrand gesagt. »Das sind die ersten Handwerker, die ich in solcher Kleidung sehe.«
»Hältst du sie für Johanniter?«, hatte Elsbeth gefragt.
Wilbrand hatte den Kopf geschüttelt. »Zu wenig aufdringlich hilfsbereit. Zu wenig demonstrativ fromm. Zu wenig Schaum vorm Mund, wenn es darum geht, Glaubensgrundsätze zu postulieren.«
»Postulieren sie denn überhaupt Glaubensgrundsätze?«
Wilbrand hatte den Kopf geschüttelt. »Sag ich doch.«
Elsbeth war klar, dass zumindest Rogers nicht nur ein Lügner war, sondern auch ein Ketzer sein musste. Einer, der nicht dem Glauben der Katharer anhing, hätte nicht gewagt, sich zwischen sie und die Soldaten des Bischofs von Colnaburg zu stellen. Es war ihr egal. Es war ihr auch egal, wie er an die Johanniterkutten gekommen war. Ein Mann konnte Lügen erzählen, wer er war und warum er dort war, wo er sich befand, und man konnte in seine Augen blicken und dennoch erkennen, dass er ein aufrechter Mensch war. Sie hatte allen dreien in die Augen geblickt und das Gleiche gesehen und sie um die tiefe Freundschaft beneidet, die sie verband. Es gab nur einen Menschen, zu dem sie, Elsbeth, ähnlich empfand, und dieser Mensch war ihre Schwester und zugleich ihre Ordensobere.
Ja, und nun … und nun war einer dieser drei Männer tot, einer von Selbstvorwürfen wie gelähmt und einer – der eine – ihr so nahe, dass sie nur ein paar Schritte zurücklegen musste, um ihm nahe zu sein, und in der Intimität ihrer Stellung als diaconissa dieser kleinen Gruppe das zu tun, was überall auf der Welt Männer und Frauen taten, um sich gegenseitig zu trösten. Konsequenterweise hatte sie Hedwig dazu abgestellt, sich zusammen mit Adelheid um Rogers zu kümmern, anstatt es selbst zu tun. Es war undankbar dem Mann gegenüber, aber sie musste der Versuchung nicht auch noch die Hand reichen, obwohl dies das Einzige gewesen wäre, das ihrem Herz hätte Trost geben können.
Rogers war auf dem Weg vom Galgenberg herunter plötzlich zusammengebrochen, am ganzen Körper eiskalt und schweißgebadet. Er hatte mit den Zähnen zu klappern begonnen. Sie hatten festgestellt, dass er mehrere Platzwunden am Körper trug, wo Steine ihn getroffen hatten, und als Adelheid, die sich als Heilerin gemacht hatte, ihm die Lider hochgezogen und in die Augen gespäht hatte, hatte sie gemurmelt, dass auch mehrere Brocken ihn am Kopf getroffen haben mussten. Sie hatten ihn in Elsbeths Zelle transportiert, weil sie nach einem Blick auf Rogers’ Lager im Schankraum der Herberge beschlossen hatte, ihn nicht dort liegen zu lassen. Die hochgezogenen Augenbrauen und das Getuschel von Wilbrands Arbeitern hatte sie ignoriert.
All das war vor zwei Tagen gewesen. Die Baustelle auf der Wiese ruhte seitdem, weil die Arbeiter das Unglück als schlechtes Vorzeichen betrachteten. Ihr war klar, dass niemand auch nur in die Nähe des alten Steinbruchs gehen würde, bis nicht zumindest Godefroys Leiche geborgen war (also nicht vor Ablauf der nächsten tausend Jahre); Walter saß in der Herberge und betrank sich methodisch, bis er unter den Tisch fiel, und nachdem er erwacht war, machte er dort weiter, wo er aufgehört hatte; Marquard hielt Totenwache für Godefroy am Seeufer und schien sich mit Vorwürfen zu quälen, deren Grund Elsbeth nicht kannte; und sie, Elsbeth, hatte noch keine einzige Minute bei Rogers vorbeigeschaut, was für sie selbst die allergrößte Qual darstellte.
Vom Eingang zur Kapelle drang ein Räuspern. Elsbeth stand auf und bekreuzigte sich.
»Da ist jemand, der dich sprechen will«, sagte Reinhild.
»Wer?«
»Guda Wiltin, Mechthild Gramlipin und eine Dritte, deren Namen ich nicht kenne.«
»Das sind …«
»Genau«, sagte
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