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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Kirchenbau diesen endgültig habe zusammenbrechen lassen; dass Wilbrands Pferd damit alle gerettet hatte. Ausnahmsweise war Wilbrand klug genug, nichts dazu zu sagen, was die Empfänglichkeit für die Legende in Wizinsten noch erhöhte. Und was wusste man schon? Vielleicht stimmte es sogar. Was vom Treibholz, das wie Mahlsteine über die Baustelle herabgekommen war, noch brauchbar war, hatte Wilbrand beiseitelegen lassen; die Zimmerleute beschäftigten sich schon damit.
    Dem nassen Winter war ein erstaunlich warmer, trockener Frühling gefolgt, so dass alle Handwerker sich auf die Bauarbeiten konzentrieren konnten statt darauf, sich wetterfeste Bauhütten zu konstruieren. Schon wuchsen die Kosten erneut in die Höhe, schon stapelten sich die Wachstäfelchen mit den Abrechnungen der Lieferanten und der Wizinstener Handwerker. Sie seufzte. Die Arbeit von Stunden lag dort, weil nicht anzunehmen war, dass Wilbrands algebraische Fähigkeiten sich wundersamerweise verbessert hätten – es musste alles nachkontrolliert werden.
    Daniel bin Daniel würde sich wundern, wenn er in Wizinsten eintraf. Angekündigt hatte er sich bereits. Dann würde er den ganzen arithmetischen Kram übernehmen dürfen, bis er sich hier eine zweite Existenz aufgebaut hatte. Adelheid konnte es kaum erwarten, sich endlich wieder von Abakus, Schreibfedern und Rechenkügelchen zu verabschieden.
    Sie fasste einen der Steinmetzen ins Auge. Er stand im Schatten unter dem Pultdach der Ostflanke des Kreuzgangs neben seiner improvisierten Werkstatt und diskutierte mit zwei Zunftgenossen ihre gemeinsame Arbeit, irgendein Motiv auf einem Schlussstein. Von der Ferne war es nicht genauer zu erkennen; dass sie überhaupt in den Kreuzgang hineinsehen konnte, lag daran, dass die Rückwände der Süd- und Westflanken noch nicht wieder aufgerichtet waren. Offenbar waren die Männer unterschiedlicher Ansicht über die Qualität, denn die Diskussion erforderte jede Menge Händefuchteln und Tritte gegen den Stein, und zwar von allen drei Beteiligten. Adelheid lächelte. Die Steinmetze waren nicht die Einzigen, die mit mehr Enthusiasmus als Können bei der Arbeit waren. Sie würden es lernen, und wenn nicht – auch mit Handwerkern verhielt es sich so, dass Gott in ihr Herz sah und nicht auf ihre Hände.
    Sie konzentrierte sich wieder darauf, die noch brauchbaren Blätter aus der Vorlesebibel zu sortieren. Es war frustrie…
    Diese Seite fühlte sich anders an. Sie rieb sie zwischen den Fingern. Die Seite war dicker. Und hier … richtig, hier löste sich eine Ecke. Es waren zwei Seiten, und sie waren zusammengeklebt – mit Baumharz, das am Rand schwarz, hart und bröselig geworden war. Sie schlug die Seite um, versuchte zu entziffern, was an ihrem Anfang stand, und blätterte dann zurück, um die letzten Worte auf der vorhergehenden Seite zu lesen. Der Anschluss passte nicht zusammen. Dann las sie mehr zufällig, was auf der vorhergehenden Seite oben stand, und stellte fest, dass diese Seite ganz einfach die nächste wiederholte. Schlampig wiederholte, wenn man es genau nahm. Die Buchstaben fielen nach allen Seiten um, die Zeilen waren windschief. Jemand musste in Eile gewesen sein, als er die Seite geschrieben hatte. Aber wozu hatte er es überhaupt getan? Wenn das ursprüngliche Blatt, das jetzt überklebt war mit der Schmiererei, jenseits aller Reparatur eingerissen oder verkleckst gewesen war, dann hätte der Jemand doch den Text der überklebten Seite abschreiben müssen und nicht den der Seite danach …
    Es sei denn, er war so in Eile gewesen, dass er die Seiten verwechselt und dann keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, den Fehler rückgängig zu machen.
    Richtig. Der Anschluss der aufgeklebten Seite passte auch nicht zum Abschluss ihrer Vorgängerin. Die aufgeklebte Seite war ein Fremdkörper.
    Adelheid sah erneut zum Fenster hinaus. Zwei Nonnen knieten in der Mitte des Kreuzgangs und beschäftigten sich damit, den Garten anzulegen. Die Flutwelle hatte fruchtbaren Schlamm aus dem Seeboden in den Kreuzgang geschwemmt. Der hortus conclusus würde erblühen wie der Garten Eden selbst. Die Sonne schien auf die Arbeit der beiden hinab. Neben ihnen, im Kreuzgang, marschierten die drei Steinmetze zu einem der übriggebliebenen Schlusssteine, musterten ihn, verglichen ihn von Weitem mit ihrem Werk und brachen erneut in Diskussionen aus. Dort war das Leben. Hier war ein plötzliches Geheimnis. Adelheid war sicher, dass Porta Coeli keine Geheimnisse mehr

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