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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ist zugleich seine Lösung versteckt; nämlich, dass es nur so lange wichtig ist, wie jemand es für wichtig hält.
    In jeder Suche findet sich die Möglichkeit, dass man das, was man gesucht hat, schon lange besitzt.
    In jedem Ende liegt ein Neubeginn.
    2.
BRUGG
     

     
    Der Hauptmann von Rudolfs Soldaten – sein ehemaliger Sergeant – kletterte beunruhigt die Leiter zum letzten Geschoss des Schwarzen Turms nach oben. Einer der Männer hatte ihn mit der Meldung geweckt, dass offenbar jemand in den Turm eingedrungen war, und tatsächlich fiel der Lichtschein einer Laterne durch die offene Falltür herunter. Der Hauptmann zog seinen Dolch und streckte den Kopf vorsichtig aus der Öffnung.
    Graf Rudolf stand vor seiner Sammlung aus Waffenröcken, Bannern und alten Fetzen. Niemand hatte ihn kommen sehen, niemand hatte gewusst, dass er zurückgekehrt war. Er wandte der Falltür den Rücken zu und merkte nicht, dass der Hauptmann ihn mit offenem Mund beobachtete. Er sah schmutzig, abgerissen und so zerzaust aus, wie der Hauptmann ihn noch nie gesehen hatte.
    Rudolf nahm langsam und methodisch eine Trophäe nach der anderen herunter, zerknüllte sie und warf sie zur Fensteröffnung hinaus in die Nacht. Schließlich waren die Stangen, an denen sie aufhängt waren, leer. Dann bückte er sich und hob etwas auf, das zuerst wie ein verdreckter dunkler Sack zu seinen Füßen gewirkt hatte. Jetzt sah der Hauptmann, dass es ein dunkler Mantel war, weit geschnitten, mit einer Kapuze, wie ihn ein halbwegs vermögender Kleriker trug oder ein Abt oder eine Äbtissin eines Klosters. Rudolf hängte den Mantel an eine Stange und trat einen Schritt zurück. Dann vergrub er das Gesicht in den Händen und begann lautlos zu weinen.
    Der Hauptmann kletterte leise die Leiter wieder hinunter. Er schloss das Portal draußen in der Gasse hinter sich, stellte sich mit dem Rücken zur Tür und hielt Wache. Er verstand überhaupt nichts, aber er würde verhindern, dass jemals irgendjemand seinen Herrn in der Stunde der tiefsten Verzweiflung sah.

EPILOG

     
    Schwester Adelheid pickte mit spitzen Fingern in den brüchigen Pergamenten herum. Sie hatte angefangen, die verschiedenen Rezepte zu sammeln, die die alten Männer und Frauen in Wizinsten gegen alle möglichen Krankheiten kannten. Es schien, dass die Katastrophe des Christfests letztes Jahr nicht nur viele Dinge für immer begraben, sondern auch verschüttetes Wissen freigelegt hatte. Sie hatte beschlossen, diese Rezepte aufzuschreiben, bevor sie für immer verloren gingen. Ihre Idee hatte sie mit der stets pragmatischen Reinhild besprochen, und diese hatte ihr geraten, die Rezepte durch Niederschriften von Hedwigs Visionen zu unterbrechen. Sie waren Heilrezepte für die Seele, fand Reinhild, und damit keineswegs fehl am Platz in Adelheids Sammlung.
    Aber für die Niederschrift von Rezepten brauchte man Pergament, und solange alles Geld in den Wiederaufbau Porta Coelis gesteckt wurde, musste man sich eben behelfen. Adelheid behalf sich, wie sie und die anderen sich immer beholfen hatten seit ihrer Ankunft hier – indem sie die alte Vorlesebibel der Benediktiner plünderten. Sie hatte den gesamten vermodernden Haufen Blätter getrocknet und nochmals getrocknet, in der Hoffnung, dass ihre früheren Raubzüge in dem alten Kodex noch genug brauchbares Material übriggelassen hatten. Nun, wie es aussah, würde sie Pergament genug zusammenbekommen, um ein bewährtes Rezept gegen Schnupfen darauf festhalten zu können: Abwarten, bis er von allein verging. Sie seufzte. Selbst das würde sie sehr klein schreiben müssen …
    Sie sah zum Fenster der Äbtissinnenzelle hinaus, das auf die Baustelle hinausging. Der Anblick war der eines bunten Ameisenhaufens. Der Trümmerhaufen, den die Flutwelle vom Kirchenbau übriggelassen hatte, war bereits abgetragen, der Großteil der Nord- und Westflanke des Kreuzgangs vom Schlamm freigeschaufelt. Dabei war ein Pferd gefunden worden, ein Pferd aus Stein – Wilbrands hoffnungsloser Versuch, ein Künstler zu werden. Die Fluten mussten es, nachdem sie Wilbrands Hütte einfach umgerissen hatten, mitgerollt, mitgeschleift haben. Der hässliche Kopf und ein Großteil des missglückten Halses waren dabei abgebrochen und spurlos verschwunden, und was übrig war, sah nun einem Pferd tatsächlich ähnlicher als zuvor. Um das Pferd hatte sich schon bald eine Legende zu bilden begonnen – dass sein Aufprall auf den schon in seinen Grundfesten erschütterten

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