Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
dieser Person Gefallen finden würde.
Nun ja, jung war sie. Sie hatte strohblondes Haar und dunkelblaue Augen, ein herzförmiges Gesicht, das durchaus einen Liebreiz hätte haben können, wäre da nicht diese Knubbelnase im Kontrast zu den dünnen, kaum wahrnehmbaren Lippen gewesen. Sie war von untersetzter Figur und nach Fidelmas Geschmack wahrhaftig keine Schönheit. Ihr ständiges zur Schau gestelltes Lächeln ging Fidelma auf die Nerven. Natürlich konnte sie für ihr Aussehen nichts. Aber mit ihrer geistigen Beweglichkeit war es auch nicht weit her. Ihre Interessen waren auf Vergnügungen beschränkt, auf die Lieder der Barden, auf Tanzen, auf die Erzählungen der Geschichtenerzähler. Nach anspruchsvollerem Zeitvertreib oder gar nach Beschäftigung mit Fragen der Regentschaft stand ihr nicht der Sinn. Selbst in Brettspielen wie brandubh oder fidchell brachte sie wenig zustande, wie Fidelma herausgefunden hatte, und Fidelma schämte sich, dass sie so und nicht anders über die zukünftige Gattin ihres Bruders dachte. Schließlich warentscheidend, was Colgú für das Mädchen empfand und nicht, was Fidelma von ihr hielt. Als sie selbst sich damals entschieden hatte, Eadulf zu heiraten, der nicht nur für ihren Clan und ihr Königreich ein Fremder war, sondern auch nichts mit ihrem eigenen Kulturkreis gemein hatte, war es Colgú gewesen, der fest an ihrer Seite gestanden hatte. Unter ihren Landsleuten, den Eóghanacht, hatten sich viele gegen den »Sachsen«, wie sie Eadulf nannten, ausgesprochen. Ihr Bruder aber hatte zu ihr gehalten. Also war es jetzt an ihr, zu ihm zu halten.
So gab sie sich alle Mühe, ihre wahre Meinung über Dúnliath vor Colgú zu verbergen, als sie sich von ihm und Abt Ségdae verabschiedete, doch erkannte sie an seinem Mienenspiel, dass er sie mit unguten Gefühlen entließ. Er war empfindsam genug, um zu ahnen, was in ihr vorging.
Schon kurz darauf sah sie Eadulf ungeduldig zu, wie er seine Sachen für die Satteltasche zusammenpackte. Zwar nahm er es inzwischen als selbstverständlich hin, dass Fidelma nicht mehr der Schwesternschaft angehörte, trug aber selbst immer noch die Mönchstracht. Er fühlte sich nach wie vor zum Klosterleben hingezogen.
»Hast du Muirgen die entsprechenden Anweisungen wegen Alchú gegeben?«, fragte er sie, und das nicht das erste Mal.
Alchú war ihr drei Jahre alter kleiner Sohn. Immer, wenn sie nicht auf Cashel sein konnten, nahm ihn Muirgen, die zuverlässige Amme, deren Mann Nessán von Gabhlach Schafhirte bei Colgú war, in ihre Obhut.
»Selbstverständlich«, versicherte sie und verkniff sich die Bemerkung, er möge aufhören, sich so übertrieben um Alchús Wohlergehen zu sorgen.
Als sie in ihren Räumen unter sich waren, hatte sie ihn gefragt, ob er sie nach Cluain Mór begleiten würde, und ihm die Zusammenhänge erklärt. Eadulf war geradezu erleichtert gewesen. In all den Wochen seit der Zusammenkunft des Rates der Brehons hatte sie düster und in sich gekehrt dreingeschaut, und nun endlich hatte sie wieder dieses Strahlen in den Augen. Mehr als jeder andere hatte er nachempfinden können, wie viel ihr daran gelegen war, der Oberste Brehon von Muman zu werden. Seit Beginn ihrer Partnerschaft, und die währte nun schon sechs Jahre und war nicht ohne diesen oder jenen Streit geblieben, hatte sie stets betont, dass Recht und Gesetz für sie erste Lebensaufgabe waren und dass sie seinerzeit nur auf Anraten ihres Vetters, Abt Laisran, einer frommen Schwesternschaft beigetreten war, weil sie dort ihren Lebensunterhalt gesichert sah. Vater und Mutter waren gestorben, als sie noch ein kleines Kind und ihr Bruder noch nicht einmal der gesetzliche Thronfolger im Königreich Muman war. Als Eadulf und Fidelma sich auf dem großen Konzil zu Streoneshalh das erste Mal begegneten, hatte Fidelma bereits die Abtei Kildare verlassen und beriet geistliche Würdenträger in rechtlichen Fragen. Viele Jahre schon lebte sie nicht mehr in einem klösterlichen Orden und fühlte sich nicht an dessen Regeln gebunden. Und genau genommen konnte sich auch Eadulf nicht als zu einer bestimmten Bruderschaft gehörig betrachten. Er hatte wie sie etliche Jahre als Abgesandter zwischen Königen und Prälaten gewirkt.
Wenngleich eine wachsende Zahl von Asketen für das Zölibat stritt, verbot der Glaube nicht die Heirat von Mönchen und Nonnen, aber unterschiedliche Lebensauffassungen hatten oft zwischen Eadulf und Fidelma zu Reibereiengeführt. Für Fidelma standen Recht und
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