Die Philosophen der Rundwelt
aber kaum beachtet. Diese Gewohnheit hat zu etlichen sehr schludrigen Gedankengängen über bedeutende Fragen der Physik geführt.
Ein wichtiger Unterschied ist es, dass in der Thermodynamik die Entropie eine mit dem Zustand des Gases verknüpfte Größe ist, während sie in der Informationstheorie für eine Informations quelle definiert ist: für ein System, das ganze Sammlungen von Zuständen (»Nachrichten«) erzeugt. Grob gesprochen ist eine Quelle ein Phasenraum für aufeinander folgende Bits einer Nachricht, und eine Nachricht ist ein Weg, eine Bahn in diesem Phasenraum. Eine spezifische Konfiguration von Gasmolekülen hat eine thermodynamische Entropie, doch eine spezifische Nachricht hat keine Shannon’sche Entropie. Dieser Umstand sollte allein schon als Warnung dienen. Und sogar in der Informationstheorie ist die »in« einer Nachricht enthaltene Information keine negative informationstheoretische Entropie. Die Entropie der Quelle bleibt nämlich unverändert, egal, wie viele Nachrichten sie erzeugt.
Noch ein weiteres Rätsel hängt mit der Entropie in unserem Universum zusammen. In kosmologischen Größenordnungen scheint unser Weltall im Lauf der Zeit komplexer geworden zu sein, nicht weniger komplex. Die Materie im Universum begann mit dem Urknall in einer sehr gleichmäßigen Verteilung und ist seither immer klumpiger – immer komplexer – geworden. Die Entropie des Universums scheint erheblich ab- statt zugenommen zu haben. Die Materie ist jetzt in einem breiten Bereich von Größenordnungen untergliedert: in Felsbrocken, Planetoiden, Planeten, Sterne, Galaxien, Galaxishaufen, galaktische Superhaufen und so weiter. Wenn man dieselbe Metapher wie in der Thermodynamik verwendet, scheint die Verteilung der Materie im Universum in zunehmendem Maße geordnet zu sein. Das ist rätselhaft, da uns der Zweite Hauptsatz sagt, dass ein thermodynamisches System immer ungeordneter werden müsse.
Die Ursache dieses Zusammenklumpens scheint wohlbekannt zu sein: Es ist die Schwerkraft. Jetzt erhebt ein zweites Paradox der Zeit-Irreversibilität sein Haupt. Einsteins Feldgleichungen für gravitative Systeme sind zeitreversibel. Das heißt, wenn irgendeine Lösung für Einsteins Feldgleichungen in der Zeit umgekehrt wird, ergibt sich eine ebenso gültige Lösung. Wenn man es solcherart rückwärts laufen lässt, wird unser Weltall zu einem gravitativen System, welches im Lauf der Zeit immer weniger klumpig wird – weniger klumpig zu werden ist also eine physikalisch ebenso gültige Lösung, wie klumpiger zu werden. Unser Universum tut jedoch nur eins von beidem: Es wird klumpiger.
Paul Davies meint dazu: »… wie bei allen Zeitpfeilen ist das Rätsel, wo die Asymmetrie ins Spiel kommt … Die Asymmetrie muss daher zu den Anfangsbedingungen zurückverfolgt werden.« Er meint damit, dass man sogar bei zeitreversiblen Gesetzen unterschiedliches Verhalten bekommen kann, wenn das System auf unterschiedliche Weise beginnt. Wenn man mit einem Ei beginnt und es mit einer Gabel rührt, bekommt man Rührei. Beginnt man mit Rührei und gibt jedem winzigen Teilchen des Eis exakt den richtigen Anstoß entlang der entgegengesetzten Bahn, dann wird das Ei wieder zusammengesetzt. Der Unterschied liegt gänzlich im Anfangszustand, nicht in den Gesetzen. Beachten Sie, dass »mit einer Gabel rühren« eine sehr allgemeine Art von Anfangsbedingung ist: Viele verschiedene Arten des Rührens werden Rührei ergeben. Hingegen sind die Anfangsbedingungen für das Zusammensetzen des Eis außerordentlich subtil und speziell.
In gewisser Weise ist das eine attraktive Möglichkeit. Unser klumpig werdendes Universum ähnelt einem »ent-rührten« Ei: Seine zunehmende Komplexität ist eine Folge von sehr speziellen Anfangsbedingungen. Die meisten »gewöhnlichen« Anfangsbedingungen würden zu einem Universum führen, das keine Klumpen bildet – wie jede vernünftige Art des Rührens zu Rührei führt. Und die Beobachtungen weisen nachdrücklich darauf hin, dass die Anfangsbedingungen des Universums zur Zeit des Urknalls überaus gleichmäßig waren, während jeder »gewöhnliche« Zustand eines gravitativen Systems wahrscheinlich klumpig sein müsste. Gemäß der eben umrissenen Vermutung hat es also den Anschein, dass die Anfangsbedingungen des Universums sehr speziell gewesen sein müssen – eine anziehende Aussicht für diejenigen, die glauben, unser Universum sei höchst ungewöhnlich, und ebenso unser Platz darin.
Vom Zweiten
Weitere Kostenlose Bücher