Die Philosophen der Rundwelt
verliert. Doch das Pferd bewegt sich zu schnell, als dass das menschliche Sehen eine überzeugende Antwort liefern könnte. Also versucht er es als Nächstes mit einem indirekten Ansatz. Er denkt über Antigonos’ Theorie nach und konzentriert sich auf einen bestimmten Schritt: Wenn das Pferd von Boden abgehoben ist, müsste es vornüber fallen. Dieser Schritt kann für sich überprüft werden, wenn auch in einer anderen Situation: ein Pferd, das an einem Tau hängt. (Die Denkweise wird »experimenteller Entwurf« genannt.) Wenn das Pferd nicht fällt, ist die Theorie falsch. Doch dieses Experiment ist nicht schlüssig, und selbst wenn die Theorie falsch ist, könnten die Schlussfolgerungen daraus richtig sein, also verfeinert er die Hypothese und erfindet weitere kunstreiche Vorrichtungen.* [* In dieser Hinsicht verhält er sich genau wie ein Wissenschaftler. Insbesondere, wenn die Apparaturen sehr teuer sind.]
Wir möchten hier nicht allzu tief in Einzelheiten der Konstruktion eindringen. Wir können uns Wege denken, wie man das Experiment zum Funktionieren bringt, doch die Erörterung wäre ein bisschen technisch. Beispielsweise scheint es notwendig, dass sich die Stoffrolle, die Endlose Straße, mit einer Geschwindigkeit bewegt, die ungleich Null ist, sich aber auch von der Geschwindigkeit unterscheidet, mit der sich das Pferd bewegen würde, wenn seine Hufe tatsächlich auf festen Boden träfen.* [* Man lässt Pferde zur Analyse der Gangart tatsächlich auf Tretmühlen laufen. Die nächste Parallele zu Phokians Experiment ist jedoch die weit verbreitete Verwendung von rußbedeckten Zylindern, um Insektenbewegungen aufzuzeichnen.] Vielleicht wollen Sie darüber nachdenken, und Sie könnten sogar zu dem Schluss kommen, dass wir uns irren. Sie könnten sogar Recht haben.
Wir gestehen auch zu, dass Phokians abschließendes Experiment Raum für viele Einwände bietet. Und weil die Hufe eines trabenden Pferdes den Boden paarweise treffen, muss man eigentlich die Gesamtlänge der Holzkohlestreifen halbieren, ehe man sie mit der Länge des Tuches vergleicht. Egal, das sind nur Verfeinerungen in einer ansonsten ganz klaren Geschichte: Sie verstehen, worauf wir hinauswollen.
All dies in Rechnung gestellt: War Phokian ein Wissenschaftler?
Nein. HEX hat wieder gepfuscht, denn trotz Phokians jahrelanger sichtlich »wissenschaftlicher« Tätigkeit wird er in zweierlei Hinsicht den Anforderungen nicht gerecht. Eine, über die sich streiten ließe, ist nicht seine Schuld: Er hat keine Gleichgestellten, keine Kollegen. Es gibt keine anderen »Wissenschaftler«, die mit ihm zusammenarbeiten, ihn kritisieren könnten. Er steht allein und ist seiner Zeit voraus.* [* So ist es vielen anderen ergangen. Einer unserer Favoriten ist Sir George Cayley, der Luftfahrtpionier des frühen 19. Jahrhunderts. Er hat erstklassige Arbeit beim Entwurf von Flügeln geleistet, das Leichtlaufrad (praktisch das Rad des modernen Fahrrads) als leichtes Rad für ein Flugzeug erfunden und hätte es fast mit Sicherheit zum Motorflug gebracht, wenn nur schon jemand den Verbrennungsmotor erfunden gehabt hätte. Er wurde nicht verrückt, doch er experimentierte mit einer Maschine, die von Schießpulver angetrieben wurde.] So, wie es nicht nur einen Zauberer geben kann, kann es nicht nur einen Wissenschaftler geben. Die Wissenschaft hat eine gesellschaftliche Dimension.* [* Wir laufen Gefahr, hier in Postmodernismus abzugleiten, was ziemlich unangebracht wäre, wenn man über einen antiken Griechen diskutiert, noch dazu einen erfundenen. Es sei hier nur gesagt, dass zur Wissenschaft auch schlüssige Überprüfungen an der Wirklichkeit gehören und dass sie daher keine rein gesellschaftliche Tätigkeit ist.] Der zweite Grund aber ist entscheidend. Als seine Arbeit den Nachweis erbringt, dass sich Antigonos, die große Autorität, geirrt hat, ist ihm das äußerst peinlich.
Jeder echte Wissenschaftler würde seine rechte Hand hergeben, um nachzuweisen, dass die große Autorität sich geirrt hat.
So nämlich verschafft man sich einen Ruf, und das ist auch die wichtigste Art, zur wissenschaftlichen Leistung beizutragen. Die Wissenschaft ist am besten, wenn sie den Geist der Menschen verändert. Ein sehr kleiner Teil der Wissenschaft tut dies, unter anderem, weil unser Geist von einer Kultur geformt wurde, die sowieso von Wissenschaft durchdrungen ist. Wenn es Wissenschaftlern gelingt, ein Prozent der Zeit mit der Entdeckung von etwas Unerwartetem zu
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