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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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haben etliche ansonsten nur ablenkende Punkte vereinfacht. Mit denen wir Sie nun ablenken werden.
    Das Vorbild für Antigonos ist der griechische Philosoph Aristoteles, ein sehr großer Mann, der noch weniger als Archimedes ein Wissenschaftler war, was auch sonst man Ihnen erzählt haben mag. In seinem »De incessu animalium« (Vom Fortgang der Tiere) sagt Aristoteles, dass ein Pferd nicht springen kann. Springen ist eine vierfüßige Fortbewegungsart, bei der sich beide Vorderbeine zusammen bewegen und dann beide Hinterbeine zusammen. Er hat Recht, Pferde springen nicht auf diese Art. Doch das interessiert hier am wenigsten. Aristoteles erklärt, warum ein Pferd nicht springen kann:
    Wenn sie die Vorderbeine gleichzeitig und zuerst bewegen würden, würde ihre Vorwärtsbewegung unterbrochen oder sie würden sogar nach vorn stürzen … Aus diesem Grunde also bewegen Tiere ihre Vorder- und Hinterbeine nicht getrennt.
    Vergessen wir das Pferd: Viele Vierfüßer springen, also muss seine Argumentation so, wie sie ist, falsch sein. Und ein Galopp kommt dem Springen sehr nahe, nur dass sich linkes und rechtes Bein ein wenig zeitversetzt bewegen. Wenn das Springen unmöglich wäre, dann aus denselben Gründen auch das Galoppieren. Aber Pferde galoppieren ja.
    Hm.
    Sie sehen, dass das alles ein bisschen zu verworren ist, um eine gute Geschichte abzugeben, also haben wir im Interesse des Narrativiums Aristoteles durch Antigonos ersetzt und ihm eine sehr ähnliche Theorie über ein altes Rätsel zugeschrieben: Hat ein trabendes Pferd immer mindestens einen Huf am Boden? (Beim Trab bewegen sich die diagonal gegenüberliegenden Beine zusammen, und die beiden Paare treffen abwechselnd auf.) Das ist die Sorte Frage, die in Bierschänken und öffentlichen Bädern lange vor Aristoteles diskutiert worden sein muss, denn sie entzieht sich gerade eben dem unbewaffneten Menschenauge. Die erste definitive Antwort kam 1874, als Eadweard Muybridge (geboren als Edward Muggeridge) Hochgeschwindigkeits-Fotografie benutzte, um zu zeigen, dass ein trabendes Pferd manchmal keinen Fuß auf dem Boden hat. Der Anteil der Zeit, da das der Fall ist, kann größer sein als Phokians zwanzig Prozent. Er kann auch bei langsamem Trab gleich Null sein, was die Wissenschaft zusätzlich kompliziert. Mit Hilfe von Muybridges Fotos soll Leland Stanford jr., ein ehemaliger Gouverneur von Kalifornien, bei einer Wette mit Frederick MacCrellish das stattliche Sümmchen von 25 000 Dollar gewonnen haben.
    Was uns hier jedoch interessiert, ist nicht die Wissenschaft von der Bewegung des Pferdes, so faszinierend sie auch sein mag. Uns interessiert vielmehr, wie ein wissenschaftlicher Geist die Untersuchung anpacken würde. Und Phokian zeigt, dass die Griechen viel größere Fortschritte als in Wirklichkeit hätten machen können, wenn sie wie ein Wissenschaftler gedacht hätten. Es gab keine technischen Hindernisse für die Lösung solcher Probleme, nur geistige und (insbesondere) kulturelle. Die Griechen hätten den Phonographen erfinden können, doch wenn sie es taten, ist davon keine Spur geblieben. Sie hätten eine Uhr erfinden können, und der Mechanismus von Antikythera zeigt, dass sie die technischen Voraussetzungen dazu besaßen, doch anscheinend haben sie keine erfunden.
    Der Gesang der Sklaven, um die Zeit festzustellen, hat seine Wurzeln später in der Geschichte: 1604 benutzte Galileo Galilei Musik als Mittel, Zeitintervalle bei einigen seiner Experimente zur Mechanik zu messen. Ein geübter Musiker kann im Geiste einen Takt in 64 oder 128 gleich große Teile unterteilen, und selbst ungeübte Menschen können in einem Musikstück ein Intervall von einer Hundertstelsekunde unterscheiden. Die Griechen hätten Galileis Methode nutzen können, wenn sie daran gedacht hätten, und die Wissenschaft vor zweitausend Jahren voranbringen. Und sie hätten zahllose Heath-Robinson-Geräte* [* William Heath Robinson, 1872–1944, ist mit Karikaturen von verrückten Erfindungen bekannt geworden. – Anm. d. Übers. ] erfinden können, um ein trabendes Pferd zu studieren, wenn es ihnen in den Sinn gekommen wäre. Warum kam es ihnen nicht in den Sinn? Vielleicht weil sie wie Phokian zu sehr auf spezielle Fragen fixiert waren.
    Phokians Herangehensweise an das trabende Pferd sieht ziemlich wissenschaftlich aus. Zuerst versucht er die direkte Methode: Er lässt seine Sklaven das Pferd beim Traben beobachten, damit sie sehen , ob es jemals völlig den Kontakt zum Erdboden

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