Die Philosophen der Rundwelt
sich der Zustand, sodass der betreffende Punkt eine Kurve beschreibt, die Bahn des Systems. Die Regel, welche die aufeinander folgenden Schritte auf der Bahn festlegt, ist die Dynamik des Systems. In den meisten Gebieten der Physik ist die Dynamik vollständig determiniert, sie steht ein für allemal fest, doch wir können diese Terminologie auf Fälle ausdehnen, wo die Regel Wahlmöglichkeiten einschließt. Ein gutes Beispiel ist ein Spiel. Jetzt ist der Phasenraum die Gesamtheit aller möglichen Positionen, die Dynamik sind die Spielregeln, und eine Bahn ist eine zulässige Folge von Spielzügen.
Die formalen Voraussetzungen und die Terminologie für Phasenräume sind für uns weniger wichtig als die Betrachtungsweise, die sie nahe legen. Beispielsweise könnten Sie sich fragen, warum die Oberfläche eines Teiches, wenn kein Wind weht und sonst keine Störungen auftreten, flach ist. Er liegt einfach da, flach, tut nicht einmal etwas. Aber Sie kommen sofort weiter, wenn Sie fragen: »Was würde passieren, wenn er nicht flach wäre?« Warum, zum Beispiel, kann das Wasser nicht in der Mitte des Teiches zu einem Klumpen aufgetürmt sein? Stellen Sie sich also vor, es wäre so. Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Position jedes einzelnen Wassermoleküls festlegen. Sie türmten das Wasser solcherart auf, wobei Sie auf wunderbare Weise dafür sorgten, dass jedes Molekül an dem Platz bliebe, wo Sie es hingetan hätten. Dann »lassen Sie los«. Was würde passieren? Der Haufen Wasser würde einstürzen, und Wellen würden über den Teich laufen, bis alles bei dieser hübschen flachen Oberfläche zur Ruhe käme, die zu erwarten wir gelernt haben. Wiederum, nehmen wir an, Sie ordneten das Wasser so an, dass in der Mitte eine große Senke wäre. Wenn Sie dann losließen, würde das Wasser von allen Seiten herbeiströmen und die Senke füllen.
Mathematisch kann diese Idee als der Raum aller möglichen Formen für die Wasseroberfläche gefasst werden. »Möglich« bedeutet hier nicht physikalisch möglich: Die einzige Form, die man in der realen Welt jemals zu sehen bekommt, wenn keine Störungen wirken, ist eine ebene Oberfläche. »Möglich« bedeutet »denkbar«. Wir können also diesen Raum aller möglichen Oberflächenformen als einfaches mathematisches Gebilde formulieren, und das ist der Phasenraum für das Problem. Jeder »Punkt« – Ort – im Phasenraum verkörpert eine denkbare Oberflächenform. Nur einer von diesen Punkten, ein Zustand, verkörpert »flach«.
Nachdem wir den passenden Phasenraum definiert haben, lautet der nächste Schritt, die Dynamik zu verstehen: die Art, wie sich der natürliche Fluss von Wasser unter Schwerkraft auf die möglichen Oberflächen des Teiches auswirkt. In unserem Fall gibt es ein einfaches Prinzip, welches das ganze Problem löst, nämlich: Wasser fließt so, dass seine Gesamtenergie so gering wie möglich wird. Wenn man Wasser in einen bestimmten Zustand bringt, wie jenen aufgetürmten Klumpen, und dann loslässt, folgt die Oberfläche dem »Energiegradienten« abwärts, bis sie die kleinste mögliche Energie findet. Anschließend (nach ein wenig Umherplätschern, welches durch die Reibung allmählich aufhört) bleibt sie in ihrem Zustand der niedrigsten Energie.
Die Energie in diesem Problem ist »potenzielle Energie«, die von der Schwerkraft bestimmt wird. Die potenzielle Energie einer Wassermasse ist gleich ihrer Höhe über einem bestimmten Vergleichsniveau, multipliziert mit der in Frage kommenden Masse. Angenommen, das Wasser wäre nicht flach. Dann wären manche Teile höher als andere. Also könnten wir Wasser vom oberen Niveau zum unteren verlagern, indem wir eine Erhebung abflachten und eine Senke ausfüllten. Wenn wir das täten, bewegte sich das betroffene Wasser abwärts, also nähme die Gesamtenergie ab. Schlussfolgerung: Wenn die Oberfläche nicht flach ist, dann ist die Energie nicht so klein wie möglich. Oder andersherum: Die minimale Energiekonfiguration tritt auf, wenn die Oberfläche flach ist.
Die Form einer Seifenblase ist ein weiteres Beispiel. Warum ist sie rund? Man kann die Frage beantworten, indem man die tatsächliche runde Form mit einer hypothetischen Form vergleicht, die nicht rund ist. Was ist dann anders? Ja, die andere Form ist nicht rund, aber gibt es einen weniger offensichtlichen Unterschied? Nach einer griechischen Legende wurde Dido so viel Land (in Nordafrika) angeboten, wie sie mit einer Stierhaut einschließen könnte. Sie
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