Die Philosophen der Rundwelt
schnitt sie in einen sehr langen, dünnen Streifen und bildete damit einen Kreis. Dort gründete sie die Stadt Karthago. Warum wählte sie einen Kreis? Weil der Kreis die Form mit dem größten Flächeninhalt bei gegebenem Umfang ist. Ebenso ist eine Kugel die Form mit dem größten Volumen bei gegebenem Oberflächeninhalt, oder anders gesagt, es ist die Form mit dem kleinsten Oberflächeninhalt, die ein gegebenes Volumen umschließt. Eine Seifenblase umschließt ein bestimmtes Luftvolumen, und aus ihrem Oberflächeninhalt ergibt sich wegen der Oberflächenspannung die Energie der Seifenschicht. Im Phasenraum aller möglichen Formen für Blasen ist die mit der geringsten Energie eine Kugel. Alle anderen Formen haben größere Energie und kommen daher nicht in Frage.
Vielleicht halten Sie Blasen für unwichtig. Doch dasselbe Prinzip erklärt, warum die Rundwelt (der Planet, nicht das Weltall, doch vielleicht auch Letzteres) rund ist. Als sie geschmolzenes Gestein war, nahm sie eine Kugelgestalt an, weil diese die geringste Energie hat. Aus demselben Grund sanken schwere Stoffe wie Eisen in den Kern, und die leichteren wie Kontinente und die Luft stiegen nach oben. Eigentlich ist die Rundwelt nicht exakt eine Kugel, weil sie rotiert, sodass die Fliehkraft am Äquator eine Ausbuchtung erzeugt. Doch die Ausbuchtung beträgt nur ein drittel Prozent. Und diese Form mit dem Wulst ist die Konfiguration mit der minimalen Energie für eine flüssige Masse, die mit derselben Geschwindigkeit wie die Erde rotiert, als sie gerade zu erstarren begann.
Die Physik ist hier nicht weiter wichtig für die Aussage dieses Buches. Wichtig ist die Sichtweise der »Welten des Wenn« bei der Anwendung von Phasenräumen. Als wir die Form des Wassers in einem Teich erörterten, haben wir die flache Oberfläche, die wir eigentlich erklären wollten, ziemlich außer Acht gelassen. Die ganze Argumentation drehte sich um nicht-flache Oberflächen, um Haufen und Senken und um die hypothetische Verlagerung von Wasser von einem zum anderen. Bei der Erklärung ging es großteils um Dinge, die nicht wirklich geschehen. Nur am Ende, nachdem wir alle nicht-flachen Oberflächen ausgeschlossen hatten, sahen wir, dass die einzige verbleibende Möglichkeit das war, was das Wasser wirklich tut. Das Gleiche gilt für die Seifenblase.
Auf den ersten Blick könnte man dies für eine sehr umständliche Art halten, Physik zu betreiben. Sie geht davon aus, dass die Art und Weise, die wirkliche Welt zu verstehen, erfordert, sie zu ignorieren und sich stattdessen auf alle möglichen unwirklichen Alternativwelten zu konzentrieren. Dann finden wir ein Prinzip (in diesem Fall die minimale Energie), um fast alle unwirklichen Welten auszuschließen, und sehen, was übrig bleibt. Wäre es nicht einfacher, mit der wirklichen Welt zu beginnen und sich nur auf sie zu konzentrieren? Nein, das wäre es nicht. Wie wir eben gesehen haben, ist die wirkliche Welt zu beschränkt, um eine überzeugende Erklärung zu bieten. Von der wirklichen Welt allein erfährt man nichts als »die Welt ist, wie sie ist, und mehr ist dazu nicht zu sagen«. Wenn man aber mittels der Phantasie den Sprung vollführt, auch unwirkliche Welten in Betracht zu ziehen, kann man die wirkliche Welt mit all den unwirklichen vergleichen und vielleicht ein Prinzip finden, welches die wirkliche unter all den anderen hervorhebt. Dann hat man die Frage beantwortet: »Warum ist die Welt so, wie sie ist, und nicht irgendwie anders?«
Ein hervorragende Art, an Fragen nach dem Warum heranzugehen, ist es, die Alternativen zu betrachten und sie auszuschließen. »Warum hast du den Wagen um die Ecke in einer Nebenstraße geparkt?« – »Weil, wenn ich den Wagen draußen vor der Tür im Halteverbot geparkt hätte, mir jemand vom Ordnungsamt einen Strafzettel verpasst hätte.« Diese spezielle Warum-Frage ist eine Geschichte, etwas Erfundenes: eine hypothetische Diskussion über die wahrscheinlichen Folgen einer Handlung, die nicht stattgefunden hat. Die Menschen haben ihre eigene Sorte Narrativium als Hilfsmittel zur Erforschung des A-Raums erfunden, des Raums der »Anstatts«. Die Erzählung gibt dem A-Raum eine Geographie: Wenn ich dies anstatt von jenem täte, dann würde Folgendes passieren …
Auf der Scheibenwelt sind Phasenräume wirklich. Die fiktiven Alternativen zu dem einen tatsächlichen Zustand existieren auch, und man kann sich in den Phasenraum begeben und seine Landschaft durchstreifen –
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