Die Philosophen der Rundwelt
stammt in Wahrheit von Campbell.
Die Geschichte geht so: Wir selektieren uns durch Pubertätsrituale und andere Stammesriten. In gewissem Maße wirken diese Riten mit unseren religiösen Geschichten zusammen, doch als Sozialisierungstechnik kann das Pubertätsritual allen außer den grundlegendsten animistischen Glaubensvorstellungen vorangegangen sein. Zweifellos liegt es unserem Homo-sapiens -Baukasten zugrunde. Doch die Neandertaler hatten vielleicht keinen solchen kulturellen Baukasten, zumindest nicht in derart wirksamer Form. Wenn sie keinen hatten, sind sie wahrscheinlich Rincewinds Randleuten ziemlich ähnlich gewesen, eigentlich allen anderen größeren Menschenaffen: Sie leben in geordneten Verhältnissen und (größtenteils) zufrieden in ihrem Garten Eden, bleiben aber, wo sie sind.
Was ist das Besondere an Pubertätsritualen? Was macht sie zum notwendigen Bestandteil unserer Entwicklung zum Geschichten erzählenden Tier? Einfach dies, sagte Campbell: Pubertätsrituale wählen aus, wer sich fortpflanzt. Das ist der Standardmechanismus der »unnatürlichen Auslese«, den man zur Züchtung von Dahlien oder Hunden verwendet, nur dass hier neue Varianten von Menschen gezüchtet oder die bestehenden stabilisiert wurden. Die Zauberer haben die unnatürliche Auslese immer gekannt, und auf der Scheibenwelt ist sie als Gott der Evolution in Heiße Hüpfer reifiziert. Unnatürliche Auslese ist auch nicht nur eine Frage der Genetik. Wenn man sich nicht fortpflanzen kann, hat man keine Gelegenheit, seine kulturellen Vorurteile an die Kinder weiterzugeben. Man kann höchstens versuchen, sie auf anderer Leute Kinder zu übertragen.
Und so geht das: Da drüben sehen wir eine Gruppe von einem halben Dutzend junger Burschen, vielleicht zwischen elf und vierzehn Jahre alt. Die älteren Männer haben eine Prüfung vorbereitet, und die Jungen müssen sie über sich ergehen lassen, um voll berechtigte, das heißt: zur Fortpflanzung berechtigte Stammesmitglieder zu werden. Vielleicht werden sie beschnitten oder auf andere Weise verwundet, und die Wunden werden mit Schmerzen verursachenden Kräutern »verbunden«; vielleicht werden sie mit Skorpionen oder beißenden Insekten gepeitscht; vielleicht werden ihnen mit glühend heißen Eisen Brandnarben im Gesicht zugefügt; vielleicht (eigentlich für gewöhnlich) werden die älteren Männer sie vergewaltigen. Man wird sie hungern lassen, sie mit Klistieren traktieren, sie schlagen … o ja, wir sind in dieser Hinsicht eine sehr erfindungsreiche Spezies.
Wer dabei weglief, wurde nicht in die Gruppe aufgenommen* [* »Going walkabout« (umherlaufen, im australischen Englisch auch: weglaufen) scheint zumindest bei einigen australischen Stämmen eine Möglichkeit gewesen zu sein, sich dieser Tortur zu entziehen.] und konnte sich demnach nicht fortpflanzen. Also waren sie insbesondere nicht unsere Vorfahren, weil sie niemandes Vorfahren waren. Hingegen wurden die, die sich der Erniedrigung unterwarfen, mit der Aufnahme in den Stamm belohnt. Campbells Erkenntnis besagt, dass diese Pubertätsrituale eine Auslese gegen die normale tierische Reaktion bildeten, Schmerz zu vermeiden, und für Vorstellungskraft und Heldentum. »Wenn ich diesen Schmerz ertrage, werde ich belohnt, indem ich die Privilegien erhalte, die diese alten Männer genießen, und ich kann mir vorstellen, dass sie genau das durchgemacht und überstanden haben.«
Später waren es die Priester, die den Schmerz zufügten. Genau dadurch waren sie Priester geworden und hatten bei den folgenden Generationen »Respekt« für sich und ihre Lehren erlangt. Zu diesem Zeitpunkt war Erniedrigung schon auf beiden Seiten des Folterinstruments ihr eigener Lohn geworden (siehe das Kapitel Einfach göttlich ), und die Menschen waren zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit selektiert worden.
Stanley Milgrams Buch Das Milgram-Experiment zeigt in der Tat, wie gehorsam wir geworden sind, indem die Autorität des weißen Laborkittels benutzt wurde, Menschen zu veranlassen, dass sie andere Menschen aus der Ferne folterten. Die anderen Menschen waren in Wahrheit Schauspieler, die – wie man die Versuchspersonen glauben machte – auf »leichten«, »starken« und »unerträglichen« Schmerz mit dem entsprechenden Verhalten reagierten. Milgrams Buch zeigt, wie Menschen Obrigkeit und Gehorsam erfanden, beides sehr elfische Empfindungen. Dieser Bestandteil in der Geschichte unserer Evolution erklärt Adolf Eichmann ebenso wie Einstein: Wir
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