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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Junge von Joel, und natürlich die vier Kinder, die übrig geblieben sind, als Gertie gestorben ist. Oh, die kommen schon allein zurecht; aber wenn sie in dieser Bande zusammen sind, wo sie sich alle das Haar so herrichten, damit sie anders aussehen, dann schließt man die Schafe ein und lässt die Hunde los. Sie haben so komische Wörter wie ›Ehre‹ und ›Mut‹ und ›Beute‹ und ›Held‹ und ›unsere Bande‹. Wenn meine Brüder ins Tal in meinen Hof herunterkommen – allein –, dann gebe ich ihnen etwas zu essen. Aber eine Bande von jungen Männern, ich sag nicht, dass es die waren, aber ich sag auch nicht, dass sie es nicht waren, die haben Browns Hof angezündet, einfach so zum Spaß …«
    In jedem Cowboyfilm finden wir die Botschaft, dass Barbarei der Stammesgesellschaft zuwiderläuft, dass Ehre und Tradition nicht unter einen Hut passen. Und dass, nachdem er sich selektiert hat mit Blick auf die Vorstellungskraft und die Fähigkeit, für künftige Lust Schmerz zu ertragen, Homo sapiens nun bereit ist, für seine – oder ihre – Glaubensvorstellungen zu sterben, für seine oder ihre Bande, für Ehre, für Hass oder für die Liebe.
    Die Zivilisation, wie wir sie kennen, scheint Elemente von beiden Wegen der menschlichen Kultur zu kombinieren, die Tradition des Stammes und die Ehre, den Stolz der Barbaren. Nationen sind nach innen hin wie Stammesgesellschaften aufgebaut, zeigen anderen Nationen aber ein barbarisches Gesicht. Unsere Extelligenz erzählt uns Geschichten, und wir erzählen unseren Kindern Geschichten, und die Geschichten geben uns Hinweise, was wir unter welchen Umständen sein oder tun sollen. In diesem Sinne ist Shakespeare das Nonplusultra des Zivilisators. Seine Stücke wurden vor einem barbarischen Hintergrund verfasst, in einer Stadt, wo man Köpfe auf Spießen und rituell zerstückelte Körper sehen konnte; sie alle beruhen auf der stammesgesellschaftlichen, traditionellen Grundlage, die den größten Teil des menschlichen Lebens ausmacht, die meiste Zeit. Er sagt uns sehr überzeugend, dass das Böse am Ende unterliegt, dass Liebe siegt und dass Lachen – das größte Geschenk, das die Barbarei der Stammesgesellschaft gemacht hat – eine der schärfsten Waffen ist, weil es zivilisiert.
    Cohens sind die Nachkommenschaft der Hohepriester der Juden. Jack ist in Jerusalem einmal gefragt worden, ob er angesichts der edlen Geschichte, die die Hohepriester vorangebracht hatten, nicht stolz sei, ein Cohen zu sein. Jack ist der Ansicht, dass dieser Adel – wie der von praktisch allen anderen Völkern – in Blut gegründet ist, das vielleicht sechs Zoll hoch durch die Straßen fließt, also ist er nicht stolz. Soweit jeder von uns für die Taten seiner Vorfahren verantwortlich ist, schämt er sich vielmehr. Er liebt die kleinen Götter von Einfach göttlich ebenso wie den jüdischen Jom Kippur, den Tag der Sühne und Versöhnung: Der Tag erzeugt ein Gefühl der Reue, und er kann immer viel finden, das es zu bereuen gibt. Er ist sicher, dass dieses Gefühl – Schuld – als Erbe über Stammesrituale aus der Morgan/Campbell-Linie seiner Vorfahren stammt.
    Stammesangehörige sind nicht »stolz«, für sie ist alles entweder vorgeschrieben oder verboten, worauf also sollten sie stolz sein? Man kann seine Kinder loben, wenn sie etwas richtig machen, oder sie ermahnen oder bestrafen, wenn sie etwas falsch machen, aber man kann nicht darauf stolz sein, was man selbst – ein vollwertiges Stammesmitglied – tut. Das ergibt sich von selbst. Man kann jedoch durchaus schuldig sein, wenn man Dinge nicht getan hat, die man hätte tun sollen. In diesem Sinne bedeuten Hohepriester, die Krieg gegen Abtrünnige oder Nachbarstämme führen, was dann zu Gräueln wie Köpfen auf Spießen führt, die blanke Barbarei.
    Der Unterschied zwischen Stammestradition und Barbarei wird von der Geschichte der Dina im Kapitel 34 des ersten Buches Mose erhellt. Dina, eine Israelitin, war die Tochter von Lea und Jakob, und »da sie sah Sichem, Hemors Sohn, des Heviters, der des Landes Herr war, nahm er sie und lag bei ihr und schwächte sie«, will sagen, schwängerte sie. Und dann verliebte er sich in sie und wollte sie zu seiner Frau machen. Doch die Söhne Jakobs waren der Ansicht, dass er sich in der Reihenfolge vertan habe. »Und da sie es hörten, verdross es die Männer, und sie wurden sehr zornig, dass er eine Torheit an Israel begangen und bei Jakobs Tochter gelegen hatte; denn so sollte es nicht sein.«

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