Die Philosophen der Rundwelt
Achtung bitte«, sagte HEX.
Ponder nahm die Kristallkugel.
»Wir hören dich.«
»Elfen nähern sich diesem Haus.«
»Was, hier? Am helllichten Tag?«, fragte Ridcully. »In unserer verdammten Welt? Während wir hier sind? Unverschämtheit!«
Rincewind blickte aus dem Fenster zur Zufahrt.
»Bilde ich es mir nur ein, oder ist es kälter geworden?«, fragte der Dekan.
Eine Kutsche näherte sich, begleitet von zwei Lakaien, die neben ihr liefen. Sie war prächtig, nach den Maßstäben dieser Stadt. Federn schmückten die Pferde. Alles glänzte entweder schwarz oder silbern.
»Nein, du bildest es dir nicht ein«, sagte Rincewind und wich vom Fenster zurück.
Geräusche kamen von der Eingangstür. Die Zauberer hörten Dees Stimme, dann das Knarren der Treppenstufen.
»Brüder«, sagte Dee und öffnete die Tür. »Unten ist ein Besucher für euch.« Er lächelte besorgt. »Eine Dame …«
SECHZEHN
Freier Unwille
Was ist die größte Gefahrenquelle für jeden Organismus? Raubtiere? Naturkatastrophen? Mitorganismen derselben Art, welche die direktesten Konkurrenten auf allen Gebieten darstellen? Rivalisierende Geschwister, die sogar in derselben Familie, im selben Nest mit einem konkurrieren? Nein.
Die größte Gefahr ist die Zukunft.
Wenn Sie bisher überlebt haben, dann bieten Ihre Vergangenheit und Ihre Gegenwart keine Gefahren, zumindest keine neuen. Die Gelegenheit, zu der Sie sich das Bein brachen, das dann nicht mehr richtig geheilt ist, hat Sie zu einer leichteren Beute für Löwen gemacht, aber der Angriff steht, wenn er überhaupt jemals kommt, Ihnen in der Zukunft noch bevor. Sie können nichts tun, um die Vergangenheit zu verändern – wenn Sie kein Zauberer sind –, aber Sie können etwas tun, um Ihre Zukunft zu ändern. Eigentlich ändert alles, was Sie tun, Ihre Zukunft, und zwar in dem Sinn, dass der nebelhafte Raum künftiger Möglichkeiten sich zu der einen Zukunft zu kristallisieren beginnt, die tatsächlich eintritt. Wenn Sie jedoch ein Zauberer sind, imstande, die Vergangenheit zu besuchen und auch sie zu verändern, müssen Sie immer noch daran denken, wie sich aus einem Spektrum von Möglichkeiten eine einzige herauskristallisiert. Sie marschieren immer noch an Ihrer persönlichen Zeitlinie entlang vorwärts in Ihre persönliche Zukunft, nur dass diese Zeitlinie, aus der Sicht der konventionellen Geschichtsschreibung betrachtet, ziemlich im Zickzack verläuft.
Wir hängen einer Sicht von uns selbst als Wesen an, die in der Zeit existieren, nicht nur in einer sich ständig wandelnden Gegenwart. Deshalb sind wir von Zeitreisegeschichten fasziniert. Und von Zukunftsgeschichten. Wir haben kunstvolle Methoden entwickelt, um die Zukunft vorherzusagen, und sehen uns solchen tief sitzenden Konzepten wie Schicksal und Freier Wille ausgeliefert, die sich auf unseren Platz in der Zeit beziehen und auf unser Vermögen, die Zukunft zu verändern – oder auch nicht. Wir haben jedoch eine zwiespältige Hal-tung der Zukunft gegenüber. In vieler Hinsicht glauben wir, dass sie vorherbestimmt ist, für gewöhnlich durch Faktoren, auf die wir keinen Einfluss haben. Wie könnte sie sonst vorhergesagt werden? Die meisten wissenschaftlichen Theorien vom Universum sind deterministisch: Die Gesetze lassen nur eine mögliche Zukunft entstehen.
Gewiss, die Quantenmechanik bringt unvermeidliche Elemente des Zufalls mit sich, zumindest nach der orthodoxen Sicht von nahezu allen Physikern, doch die Quanten-Unbestimmtheit verwischt sich und »dekohäriert«, wenn wir von der Mikrowelt in die Makrowelt hinüberwechseln, sodass in menschlichen Größenordnungen wieder nahezu alles von Bedeutung aus physikalischer Sicht determiniert ist. Das heißt jedoch nicht, dass wir vorher wissen, was geschehen wird. Wir haben gesehen, wie sich aus zwei Eigenschaften der Funktionsweise von Naturgesetzen, nämlich Chaos und Komplexität, die Folge ergibt, dass deterministische Systeme nicht im praktischen Sinne vorhersagbar zu sein brauchen. Doch wenn wir über uns selbst nachdenken, sind wir ganz und gar gewiss, dass wir überhaupt nicht determiniert sind. Wir haben einen freien Willen, wir können wählen. Wir können wählen, wann wir aufstehen, was wir zum Frühstück essen wollen, ob wir das Radio einschalten und die Nachrichten hören oder nicht.
Wir sind nicht so sicher, ob Tiere einen freien Willen haben. Treffen Katzen und Hunde Entscheidungen? Oder reagieren sie nur auf ihnen innewohnende und unveränderliche
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