Die Philosophen der Rundwelt
»Triebe«? Was einfachere Organismen wie Amöben betrifft, können wir uns schwer vorstellen, dass sie zwischen alternativen Möglichkeiten wählen; wenn wir sie jedoch durchs Mikroskop betrachten, bekommen wir den starken Eindruck, dass sie wissen, was sie tun. Wir glauben gern, dieser Eindruck sei eine Illusion, ein dummes Stück Anthropomorphismus, der auf einen winzigen Klumpen Biochemikalien menschliche Eigenschaften überträgt; zweifellos reagiert die Amöbe deterministisch auf chemische Gradienten in ihrer Umwelt. Doch wegen der erwähnten Ausnahmen, Chaos und Komplexität, wirkt es nicht deterministisch. Im Gegenteil, wenn wir eine Wahl treffen, stehen wir unter dem überwältigenden Eindruck, wir hätten auch anders wählen können. Wenn das nicht möglich wäre, hätten wir wirklich keine Wahl.
Wir haben daher ein Modell von uns, in dem wir freie Akteure sind, die vor dem Hintergrund einer komplexen und chaotischen Welt immer wieder Entscheidungen treffen. Uns ist bewusst, dass jede Bedrohung für unsere Existenz – wie auch alles Wünschenswerte – aus dieser Zukunft erwächst und dass die freien Entscheidungen, die wir jetzt treffen, darauf Einfluss nehmen können und werden, wie die Zukunft wird. Wenn wir nur die Zukunft vorhersehen könnten, dann könnten wir die besten Entscheidungen ermitteln und die Zukunft so geschehen lassen, wie wir es möchten, und nicht so, wie die Löwen es möchten. Unsere Intelligenz verleiht uns die Fähigkeit, geistige Modelle der Zukunft zu konstruieren, meistens einfache Extrapolationen der Muster, die wir in der Vergangenheit festgestellt haben. Unsere Extelligenz sammelt diese Modelle und verschmilzt sie zu religiösen Prophezeiungen, wissenschaftlichen Gesetzen, Ideologien, sozialen Imperativen … Wir sind zeitbindende Tiere, bei denen jede Tat nicht nur von Vergangenheit und Gegenwart eingeschränkt wird, sondern auch von unseren eigenen Erwartungen von der Zukunft. Wir wissen, dass wir die Zukunft nicht sehr präzise vorhersagen können, aber eine Vorhersage, die nur manchmal funktioniert, halten wir für besser als gar keine. Also erzählen wir uns selbst und einander Geschichten von der Zukunft und benutzen diese Geschichten, um unser Leben zu steuern.
Diese Geschichten bilden einen Teil der Extelligenz und stehen mit anderen Elementen von ihr, wie Wissenschaft und Religion, in Wechselwirkung, um eine starke emotionale Bindung an Glaubenssysteme oder an die Technik zu erzeugen, die uns helfen können, in einer unsicheren Zukunft unseren Weg zu finden. Oder die eben das zu können behaupten und die uns von der Gültigkeit ihrer Behauptung zu überzeugen vermögen, selbst wenn sie nicht zutrifft. In vielen Religionen wird Propheten enormer Respekt gezollt, Menschen, die so weise sind oder so im Einklang mit der Gottheit, dass sie wissen, was die Zukunft bringen wird. Die Priester erlangen Respekt, indem sie Sonnenfinsternisse und den Wechsel der Jahreszeiten vorhersagen. Wissenschaftler erlangen deutlich weniger Respekt, indem sie die Planetenbewegung und (weniger wirksam) das morgige Wetter vorhersagen. Wer immer die Zukunft lenkt, lenkt das Schicksal der Menschheit.
Schicksal. Das ist ein sonderbares Konzept bei einem Wesen, das freien Willen zu besitzen glaubt. Wenn man die Zukunft lenken kann, dann kann sie nicht feststehen. Wenn sie nicht feststeht, gibt es kein Schicksal. Es sei denn, dass die Zukunft vielleicht immer zu denselben Ereignissen zurückfindet, was immer man auch tut. Es gibt viele Geschichten zu diesem Thema, von denen die berühmteste »Die Verabredung in Samara« ist (parodiert in Die Farben der Magie ), wo die Anstrengungen eines Mannes, dem Tod zu entgehen, ihn an eben den Ort führen, wo der Tod ihn erwartet.
Wir hängen widersprüchlichen Vorstellungen von der Zukunft an. Das überrascht nicht: Wir sind nicht die allerlogischsten Wesen. Wir neigen dazu, die Logik lokal zu gebrauchen, in engen Grenzen und wenn es uns passt. Wir sind sehr schlecht, wenn es darum geht, sie global anzuwenden, eine unserer geliebten Vorstellungen mit einer anderen zu konfrontieren und nach Widersprüchen zu suchen. Doch besonders widersprüchlich sind wir, wenn es um die Zukunft geht.
Paradoxerweise ist freier Wille das Letzte, was man haben möchte, wenn man der Stammesgesellschaft angehört. Man ist gefangen in der Matrix des »Alles, was nicht Pflicht ist, ist verboten«, und da ist einfach kein Platz für freien Willen. Einerseits ist ein solches
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