Die Philosophen der Rundwelt
Dasein sehr sicher; doch andererseits sind Strafen und Belohnungen ebenso fest vorgeschrieben wie alles, wenn Verfehlungen herauskommen. Die persönliche Verantwortlichkeit eines jeden besteht nur im Einhalten der Regeln.
Man kann sich immer noch Geschichten über die Zukunft erzählen, doch sie enthalten sehr wenig Spielraum. »Soll ich heute Abend zu dem rituellen Mahl gehen, und zwar vor dem Abendgebet, oder soll ich wie alle anderen am Gemeindegebet teilnehmen?« Sogar in einem Stammessystem wird eine Menge getrickst, weil wir Menschen sind. »Hm, also … Wenn ich frühzeitig gehe, kann ich in Fatimas Zelt vorbeischauen, ohne dass meine Frauen davon erfahren …«
Sogar in der Stammesgesellschaft sind viele Sünden möglich, und in der Realität erlauben die Gesellschaften, die überleben, ein wenig Flexibilität. Wenn du, sagen wir, am Heiligen Tag zu fasten vergessen hast und jemand dich essen sieht, und du glaubst wirklich, der Heilige Tag sei erst morgen, oder wenn ein Feind dir gesagt hat, dass er erst morgen sei, oder wenn ein Feind dich mithilfe eines Fluches glauben machte, er sei erst morgen – dann kannst du mit etwas geschicktem Argumentieren deine Bestrafung abwenden.
Die natürliche und anziehende Option ist immer, anderen die Schuld zu geben; es ist unerträglich zu wissen, dass man sich die Bestrafung selbst zugezogen hat. Wenn du keine Möglichkeit siehst, jemand anderem aus materiellen Gründen die Schuld zuzuschieben, dann hat er dich eben verflucht. Gib Fatima die Schuld, dass sie attraktiv und willig ist, beschuldige einen Feind, der dich belogen hat. »Glück« steht in einer Stammesgesellschaft als Konzept nicht zur Verfügung, denn Allah weiß alles, Jahwe ist allwissend: Die natürliche Reaktion ist es, alles zu akzeptieren, was sie einem bescheren.* [* Zugegeben, viele afrikanische Stämme denken nichts dergleichen: Vor dem ziemlich einfachen Lokalgott kann man Dinge verbergen. Aber dann macht er als Gott nicht viel her. Wahrscheinlich sind die Stammessitten im Lauf der Zeit verwässert worden.] Wenn dir zugedacht ist, in den Himmel zu kommen, dann soll es so sein; wenn es dein Schicksal ist, in ewige Feuer geworfen zu werden, dann ist das Gottes Wille, dem wir unterworfen sind. Das Beste, was man als Stammesmitglied auf Bauern-Niveau tun kann, ist herauszufinden, was einem bevorsteht, was im Buch geschrieben ist.
Vielleicht möchtest du eigentlich gar nicht wissen, was im Buch steht, doch äffische Neugier überwindet die Furcht, und man kann sowieso nicht ändern, was geschrieben steht, und es könnte ja ganz nett sein. Also gehst du zu der alten Dame im Walde, die aus Teeblättern lesen kann* [* Ein finsterer Aberglaube der Briten: Es weiß doch jedes Kind, dass man die Zukunft aus dem Kaffeesatz liest. – Anm. d. Übers. ], oder (heutzutage) zum Iridologen oder zu einem spiritistischen Medium. Alle diese vermeintlichen Wege, die Zukunft zu schauen, haben eine sehr viel sagende gemeinsame Eigenschaft. Sie interpretieren das Kleine und Gelegentliche zu etwas Großem und Bedeutsamem.
Ganz so, wie der römische General vor der Schlacht die Eingeweide eines Schafbocks auf dem Erdboden verstreut, damit das Kleine und Komplizierte die bevorstehende Schlacht widerspiegeln kann, die groß und kompliziert sein wird, sind Teeblätter und Handlinien klein und kompliziert, und deshalb »muss« in ihnen die komplizierte Zukunft eines Menschen verschlüsselt sein. Die Art Magie, die hier beschworen wird, ist eine unausgesprochene Homologie, an die wir in gewissem Grade alle glauben, weil wie sie fortwährend benutzen. Die Geschichten, die wir in unserem Geist konstruieren, sind klein und kompliziert und spiegeln tatsächlich die großen und komplizierten Dinge wider, die uns widerfahren. The Concise Lexicon of the Occult verzeichnet 93 Methoden der Weissagung, von Aeromantik (Weissagung aus der Form von Wolken) bis Xylomantik (Weissagung aus der Form von Zweigen). Bis auf vier verwenden sie alle das Kleine und Komplizierte, um das Große und Komplizierte vorherzusagen; zu ihren Materialien gehören Salz, Gerste, Wind, Wachs, Blei, Zwiebelsprossen (das heißt »Kromniomantik«), Gelächter, Blut, Fischeingeweide, Flammen, Perlen und die Geräusche, die Mäuse machen (»Myomantik«). Bei den anderen vier werden Geister beschworen, Dämonen gerufen, oder es wird mit Göttern gesprochen.
Für viele einfältige Stammesmitglieder scheinen andere Menschen zuweilen Zugang zu kleinen
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