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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Es gibt keinen anderen Ausweg. Verflucht noch mal, warum machst du es mir so schwer!«
    »Was? Ich mache es dir schwer? Weißt du überhaupt, was du da sagst?«
    »Und ob ich das weiß! Du hast die Enzyklopädie um ein Haar ruiniert! Du hast die schlimmsten Ketzereien in de Prades’ Artikel hineingeschrieben. Deine Anmerkungen haben die Zensur erst auf die richtige Fährte gebracht – das hast du selbst gesagt. Hast du das vergessen?«
    Er zog ein Gesicht wie ein Vater, der einem uneinsichtigen Kind Vernunft einzubläuen versucht. Sophie war so empört, dass sie gleichzeitig nach Worten und Luft schnappte.
    »Ruiniert? Ich habe alles getan, was ich konnte, um deinWerk zu retten. Warum, glaubst du, hast du plötzlich die Erlaubnis bekommen weiterzumachen?«
    »Was weiß ich? Despoten begründen ihre Entscheidungen nicht.«
    »Dann will ich es dir sagen: Madame de Pompadour hat sich beim König für dich eingesetzt.«
    »Die Pompadour? Ausgerechnet! Sie hat mir doch selbst geschrieben, dass sie nichts für mich tun kann.«
    »Sie hat es sich anders überlegt.« Sophie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Weil ich sie darum gebeten habe.«
    »Du?« Diderot lachte auf. »Du weißt, wie sehr ich dich schätze, aber das glaubst du doch wohl selber nicht. Weil eine Zofe sie bittet, soll die Favoritin des Königs in einer so schwerwiegenden Frage ihre Meinung ändern? Das ist ja lächerlich!« »Du hast ja keine Ahnung, wie es war!«
    »Dann klär mich bitte auf! Womit hast du sie denn überzeugt?«
    Die Antwort lag Sophie auf der Zunge.
Mit meiner Liebe zu dir!
Doch bevor sie ihm jetzt, in diesem Augenblick, da er ihr solche Missachtung zum Ausdruck brachte, ihre Liebe gestand, würde sie sich eher die Zunge abbeißen. Also schwieg sie.
    »Na los!«, drängte er. »Sag schon, spann mich nicht auf die Folter!«
    Ihr Herz, ihr Kleinod, alles in ihr schrie ihm die Antwort entgegen. Doch Sophie beherrschte sich und schwieg weiter.
    »Siehst du?«, schnaubte er schließlich. »Darauf hast du nichts zu erwidern. Wie solltest du auch?«
    Er maß sie mit einem so abschätzigen Blick, dass Sophie am ganzen Leib zu frieren begann. Plötzlich fiel ihr Diderots Frau ein, wie sie mitten in der Nacht auf einmal vor ihr aufgetauchtwar, mit seinem Kind auf dem Arm. Die Erinnerung öffnete ihr die Augen, und die Erkenntnis war so bitter wie Galle. In diesem Moment geschah, wovor sie sich insgeheim die ganze Zeit am meisten gefürchtet hatte, mehr als vor Krankheit und Tod: Er behandelte sie genauso lieblos wie seine Frau.
    »Komm, beruhige dich«, sagte er und versuchte zu lächeln. »Ich habe es ja nicht so gemeint.«
    Er trat auf sie zu, streckte die Hand nach ihr aus, wollte sie streicheln, doch sie schüttelte den Kopf, so heftig, als würde er sie bedrohen.
    »Rühr mich ja nicht an! Nicht jetzt!«
    »Aber warum nicht? Komm, wir wollen uns vertragen!«
    Er beugte sich zu ihr, mit seinem Gesicht, mit seinem Mund, wie um sie zu küssen. Sie machte einen Schritt zurück und schaute ihn so scharf an, dass er in der Bewegung innehielt.
    »Beantworte mir eine Frage …«, sagte sie.
    »Jede, wenn du nur aufhörst, mir böse zu sein.«
    »Was ist dir wichtiger? Die Enzyklopädie oder unsere Geschichte?«
    Er biss sich auf die Lippen und blickte zu Boden.
    »Es ist eine ganz einfache Frage, Denis.«
    Er schwieg, ohne sie anzuschauen. Vom Quai wehte der Wind den Duft der Blumen herüber. Sophie wurde fast übel davon.
    »Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entscheide dich!« Endlich hob er den Blick. Seine Augen waren so klar und rein wie Wasser. Er räusperte sich einmal, dann sagte er: »Die Enzyklopädie ist wichtiger als wir. Wichtiger als jeder einzelne Mensch. Wichtiger als alles andere sonst auf der Welt.«
    »Wichtiger auch als die Liebe?«
    Diderot nickte. »Auch als die Liebe.«
    Sophie schloss die Augen.
Auch als die Liebe
. Die wenigen Worte schepperten in ihrem Kopf wie eine Hand voll Kieselsteine in einer leeren Blechdose. Immer wieder diese Worte, wie in einem Albtraum:
Auch als die Liebe
.
    Sophie holte tief Luft. Diese vier Worte entschieden alles. Sie schlug die Augen auf und sagte: »Scher dich zum Teufel!« Ohne ein weiteres Wort ließ sie ihn stehen.
    Dass sie ein Kind von ihm erwartete, hatte sie ihm nicht gesagt.

 
VIERTES BUCH
Die Vertreibung
1757–1759

1
     
    Es gärte gefährlich im Gedärm des großen Kraken. Während in den Kirchen von Paris täglich fünftausend Messen gelesen wurden, um die toten Seelen auf ihrem

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