Die Philosophin
beschäftigt, sich zu vergnügen. Die gold- und stuckver-zierten Decken hallten von glückstrunkenem Lachen wider, während hinter vorgehaltenen Masken die verführerischsten Blicke aufblitzten. Sogar der Herrscher – im Gewand des Kriegsgottes Mars, Zeichen allerhöchster Verbundenheit mitden Soldaten Seiner Majestät, die gerade gegen England und Preußen zu Felde zogen – schien sich zu amüsieren. Stets von einem Dutzend Haremsdamen umringt, hatte Ludwig an diesem Abend nur dreimal gegähnt.
Sophie war die einzige Frau unter den Gästen, die weder Kostüm noch Maske trug. Ihr war die turmhohe Perücke, die sie auf dem Kopf balancierte, Verkleidung genug. Obwohl sie inzwischen drei Jahre am Hofe war, hatte sie sich immer noch nicht an das künstliche Haarteil gewöhnt, so wenig wie an die dicke Schicht Puder auf ihren Wangen, die ihre Sommer-sprossen nun bedeckte.
Madame de Pompadour hatte sie als Vorleserin zu sich geholt, unmittelbar nachdem ihre geliebte einzige Tochter Alexandrine im Alter von zehn Jahren an Tuberkulose gestorben war. Der Abschied von Monsieur Poisson war Sophie nicht leicht gefallen, doch die Mätresse des Königs behandelte sie mit noch größerer Liebenswürdigkeit als ihr Bruder – fast wie eine jüngere Schwester. Sophie hatte manchmal das Gefühl, als wolle die Marquise an ihr gutmachen, was das Schicksal an ihr selbst versäumt hatte. Auf den ursprünglichen Vorschlag, Sophie solle in das Lustschloss am Hirschgraben einziehen, war die Favoritin des Königs nie wieder zu sprechen gekommen.
»Ich würde dir gern jemanden vorstellen.«
Sophie drehte sich um. Vor ihr stand die Pompadour im Kostüm einer Gärtnerin. Auf dem Kopf trug sie einen Strohhut, in der Hand einen Strauß Hyazinthen.
»Bitte nicht«, sagte Sophie. »Sie wissen doch, dass ich nicht interessiert bin.«
»Papperlapapp! Eine Frau braucht einen Gönner bei Hofe. Wenn nicht zu ihrem Vergnügen, dann zumindest, um sich davor zu schützen.«
Die Pompadour hielt einen Mönch auf, der gerade wie zufällig vorüberkam. Sein Kopf war von einer Kapuze verhüllt, die Arme steckten in den weiten Ärmeln seiner Kutte.
»Ach, Monsieur, kennen Sie eigentlich meine Freundin Sophie?«
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört«, sagte der Mönch und beugte sich über Sophies Hand. »Am ganzen Hof wird Ihre Vortragskunst gerühmt.«
Als er sich aufrichtete, erkannte Sophie den Mann: Unter der Kapuze verbarg sich Monsieur de Malesherbes, der Direktor der Hofbibliothek. Sie wollte sein Kompliment gerade erwidern, da setzte Musik ein.
»Darf ich bitten?«, fragte er und reichte ihr den Arm.
»Sie wollen es wirklich wagen?« Die Pompadour staunte.
»Vergessen Sie nicht, Monsieur, beim Tanzen denken die Beine, sie seien der Kopf!«
»Ich werde es ihnen per Ratsverordnung verbieten!«
Malesherbes führte Sophie vorbei an einem künstlichen Teich, auf dem mitten im Saal zwei einsame Schwäne ihre Kreise zogen, zur Tanzfläche, wo sich unter hyazinthblauen Girlanden bereits einige Paare zum Menuett formierten. Als sie seine Hand nahm, erinnerte sie sich für einen Augenblick an ferne Sonntagnachmittage in Vaugirard, wo sie mit bloßen Füßen im Kreis getanzt hatte, bis ihr schwindlig geworden war. Doch das war nur eine Erinnerung. Ihr Kleinod war verstummt, als hätte es nie zu ihr gesprochen.
Der Tanzmeister hob den Stab, und die erste Reprise des Menuetts begann.
»Ich hoffe nur«, seufzte Malesherbes, »der König sieht mich nicht. Auf dem Parkett fühle ich mich so verloren wie im Land der Cacouacs.«
»Ich würde Sie gern bedauern, Monsieur. Doch von welchem Land sprechen Sie?«
»Sie kennen die Cacouacs nicht?« Er schaute sie prüfend an.
»Dabei redet man in Paris von nichts anderem.«
»Ich bin seit Monaten nicht in der Stadt gewesen.«
»Nun, dann ist es kein Wunder, dass Sie ihnen noch nicht begegnet sind. Es sei denn, einige hätten sich bereits an den Hof verirrt.«
»Das heißt, die Cacouacs leben in Paris?«
»So ist es! Und doch versteht kein Mensch ihr Gequake.« Als er ihr fragendes Gesicht sah, fügte er mit einem Zwinkern hinzu: »Nur eine Parodie, Madame, die unlängst im
Mercure
erschien. Gemeint sind natürlich die Philosophen.«
Sophie kam für eine Sekunde aus dem Takt.
»Pardauz! Haben Sie etwa gerade mit dem Kopf statt mit den Beinen gedacht?«
»Sie erwähnten die Philosophen?«, erwiderte sie. »Was … was haben die mit den Cacouacs zu tun?«
»Ganz einfach: Sie wirken wie die
Weitere Kostenlose Bücher