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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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freundlichsten Geschöpfe Gottes, zumindest auf den ersten Blick. Doch sobald sie zu quaken anfangen, verspritzen ihre Zungen tödliches Gift.«
    »Was für ein scharfsinniger Vergleich«, sagte Sophie mit einem Anflug von Bitterkeit. »Ich nehme an, hier spricht der Zensor Seiner Majestät?«
    Mit einem Druck seiner Hand forderte er sie zu einer Drehung auf. Sie musste ein wenig den Kopf einziehen, um unter dem weiten Ärmel seiner Kutte durchzuschreiten.
    »Auch wenn es mir schmeichelt«, sagte er, als sie wieder an seiner Seite war, »auf meine Meinung kommt es nicht an. Die Zeit, da der Hof die öffentliche Meinung bestimmte, ist vorbei. Früher zitterte ganz Paris vor jedem Wort, das unsereinsüber ein Buch, ein Theaterstück oder ein Gemälde fallen ließ. Heute ist es umgekehrt. Der Hof wartet ab, was die Hauptstadt sagt, und man tut gut daran. Die wahre Zensur übt das Publikum aus. Es ist in Fragen der Kunst und Literatur der einzige Richter, der wirklich zählt.«
    »Und – wie beurteilt das Publikum die Cacouacs?«
    »Es lacht! Und glauben Sie mir, das ist eine sehr ernste Sache. Die kleine Parodie könnte für die Enzyklopädisten schlimmere Folgen haben als jede Ratsverfügung. Ich möchte jedenfalls nicht in Monsieur Diderots Haut stecken. O pardon!«, unterbrach er sich, als Sophie ins Stolpern geriet. »Bin ich auf Ihren Saum getreten?«
    »Nein, nein. Ich fürchte, ich bin umgeknickt.«
    Er schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Man sagt, Tanzen sei die Poesie des Fußes. Doch habe ich den Eindruck, wir zwei verstehen uns nicht aufs Versemachen.« Er nickte ihr zu. »Wollen wir es mit dieser Strophe gut sein lassen?«
    »Um aufrichtig zu sein – Sie würden mich erlösen.«
    Er führte sie ans äußerste Ende des Saales. Hinter einer Grotte aus Pappmaschee, aus der sich anmutig plätschernd ein Wasserfall ergoss, fanden sie in einer Heckenlaube eine freie Bank.
    »Ich glaube, hier sind wir sicher«, sagte Malesherbes und nahm zwei Gläser Wein von einem Tablett, das in der Laube vor einem Spiegel bereitstand. »Auf das Wohl der Favoritin, die uns einander vorgestellt hat!«
    Sie begannen zu plaudern. Obwohl das Menuett eine Katastrophe gewesen war, bedauerte Sophie es keineswegs mehr, dass Malesherbes sie zum Tanzen aufgefordert hatte. Der Direktor der Hofbibliothek gefiel ihr; er war charmant, und seine Witze sprühten vor Esprit, selbst wenn er von den allergewöhnlichstenDingen sprach. Vor allem aber wusste er Abstand zu wahren. Weder belästigte er sie mit Anzüglichkeiten noch versuchte er, ihr etwas ins Ohr zu raunen, wie sonst am Hofe üblich, sobald die ersten fünf Minuten einer Konversation vorbei waren. Nur manchmal musterte er sie auf seltsame Weise, als forsche er in ihrem Gesicht nach etwas, von dem er selbst nicht wusste, was es war. Sophie fragte sich, ob ihre Perücke schlecht saß, aber ein Blick in den Spiegel sagte ihr, dass dies der Grund nicht war.
    Hatte er etwa ihre Irritation bemerkt, als von Diderot die Rede gewesen war?
    »Um offen zu sein«, sagte er, als lese er ihre Gedanken, »Sie sind mir ein großes Rätsel.«
    »Das überrascht mich nicht«, erwiderte Sophie mit einem Lächeln. »Für einen Mann ist jede Frau ein Rätsel, dessen Lösung er bei der nächsten sucht.«
    »Da kann ich Sie beruhigen – ich nehme für mich in Anspruch, mir selbst das größte Rätsel zu sein.« Auf einmal wurde sein Gesicht ernst. »Sie sind die einzige Frau am Hofe, die keinen Liebhaber hat. Warum? Sie sind doch die Einzige, die wirklich zu lieben vermag.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«, fragte sie, von seiner plötzlichen Offenheit überrascht.
    »Es gibt, wenn ich recht unterrichtet bin, einen natürlichen Beweis.«
    Sophie wusste, wovon er sprach, und schwieg.
    »Darf ich Sie einmal besuchen«, fragte er, »wenn ich zufällig in Versailles bin?« Als Sophie Malesherbes zum Abschied die Hand entgegenstreckte, zwitscherte draußen bereits ein Vogel, der den neuen Tag begrüßte.

3
     
    Ein Möbelwagen, bespannt mit zwei mächtigen belgischen Pferden, wartete vor dem Haus in der Rue Taranne. Ein halbes Dutzend Männer lief treppauf, treppab, um die Möbel abzuladen.
    »Die kommt ins Schlafzimmer!«, rief Nanette zwei Packern zu, die gerade eine Kommode durch den Eingang wuchteten.
    »Herrje! Passt auf! Es ist alles ganz neu!«
    Beide Hände in den Hüften, stand sie auf dem Treppenabsatz und reckte den Hals, um ihre Augen überall gleichzeitig zu haben. Während im Quartier

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