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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Latin noch immer das Gelächter über die Cacouacs und ihren Mann ertönte, richtete Nanette Diderot ihre neue Wohnung ein. Endlich hatte die Enge in der Rue de l’Estrapade ein Ende! Das Haus, das sie nun in der Gemeinde Saint-Germain-des-Prés bezogen, war groß und schön und beinahe herrschaftlich. Für Nanette ging ein Traum in Erfüllung. Sie war so glücklich wie an dem Tag, als ihr Mann sie endlich geheiratet hatte.
    »Die Stühle in den Salon – nicht in die Küche! Wie oft soll ich das noch sagen!«
    Während sie mit glühenden Wangen die Arbeiten dirigierte, stieg Diderot die Treppe hinauf, heimlich wie ein Dieb in der Nacht. Hoch oben unter dem Dach, in der Mansarde, hatte er ein Geschoss ganz für sich allein. Als er die Tür hinter sich zumachte, fiel alle Anspannung von ihm ab. Zufrieden betrachtete er sein neues Reich: ein Stuhl mit Strohgeflecht, ein schlichter Tisch, Bücherbretter aus Tannenholz – das war alles, was er brauchte. Die gerahmten Kupferstiche, die er später aufhängen wollte, lehnten noch an der Wand zwischeneinpaar Gipsbüsten von Horaz, Homer und Vergil. Obwohl sie noch keine Woche in dem neuen Haus wohnten, fühlte er sich hier oben bereits heimisch. Keine Kakerlake der Welt würde es schaffen, ihn bis in den fünften Stock hinauf zu verfolgen.
    Der neue Vertrag mit Le Bréton hatte den Umzug möglich gemacht. Diderot verdiente jetzt fast doppelt so viel wie zuvor. Der Verleger konnte es sich leisten – die Geschäfte liefen großartig, nicht zuletzt dank der Jesuiten, die immer noch nicht müde wurden, gegen die Enzyklopädie Sturm zu laufen. Über viertausend Subskribenten hatten das Wörterbuch inzwischen abonniert, Jahr für Jahr erschien ein weiterer Band, jedes Mal mit einem weiteren Buchstaben des Alphabets. Nur beim Buchstaben C hatte es Schwierigkeiten gegeben, beim Artikel
»Constitution«
, der die Frage behandelte, welcher Instanz im Zweifelsfall die höhere Autorität zukam: dem König oder der Kirche? Der Oberaufseher des Buchwesens, Chrétien de Malesherbes, hatte den Artikel zur Korrektur angefordert, doch offenbar in seiner Schublade vergessen. Wenige Wochen später war d’Alembert in die Académie Française aufgenommen worden. Diderot war sich darum sicher: Das Geschrei über die Cacouacs würde eher verstummen, als er sich in seiner neuen Behausung eingerichtet hatte. Er streifte seinen alten, scharlachfarbenen Schlafrock über, den er aus der ehemaligen Wohnung hierher gerettet hatte, und setzte sich an den Schreibtisch. Um ihn herum türmten sich die Unterlagen. Aus den ehemals zwanzig Pappkästen mit Notizzetteln, angefangenen, halb fertigen und abgeschlossenen Manuskripten waren inzwischen über hundert geworden. Die Enzyklopädie hatte einen solchen Umfang angenommen, dass Diderot immer mehr die Aufgaben einesHerausgebers und Organisators erfüllen musste – es blieb ihm kaum noch Zeit, eigene Artikel zu schreiben. Gott sei Dank stand ihm Chevalier Jaucourt zur Seite, ein Philosoph aus adliger Familie. Er hatte Theologie und Physiologie in Genf sowie Mathematik und Philologie in Cambridge studiert und war als Schüler des berühmten Boerhaave in Leyden zum Doktor der Medizin promoviert worden. Jetzt gehörte sein Leben der Enzyklopädie. Er kompilierte, exzerpierte und schrieb, bescheiden, fleißig, unauffällig – ein Glücksfall für das Unternehmen.
    Diderot griff nach einer Feder und wischte sie an seinem Schlafrock ab. Dann nahm er einen Bogen Papier und tauchte die Feder in sein Tintenfass.
    Liebe Sophie. Ich schreibe, ohne etwas zu sehen. Ich bin gekommen, ich wollte Ihre Hand küssen und wieder gehen. Ich werde ohne diese Belohnung fort müssen. Aber wird mir nicht die Belohnung genügen, dass ich Ihnen gezeigt habe, wie sehr ich Sie liebe? Ich schreibe Ihnen, dass ich Sie liebe, oder zumindest will ich Ihnen das schreiben, aber ich weiß nicht, ob sich meine Feder meinem Willen beugt. Warum kommen Sie nicht, damit ich es Ihnen sagen kann?
    Es war fast sieben Jahre her, dass er Sophie zum letzten Mal gesehen hatte, doch kein Tag verging, ohne dass er ihr schrieb. Er berichtete ihr von seinen Hoffnungen und Sorgen, vom Fortgang der Arbeit, von der Enzyklopädie, erkundigte sich nach ihrer Gesundheit, nach ihrem Leben am Hofe, fragte sie, ob sie nun auch wie er eine Brille tragen würde, und bat sie, nein, flehte sie an, sich mit ihm zu treffen, am Ufer der Seine, wo sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. Doch keinen seiner Briefe schickte

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