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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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seine Lippen, doch Sophie glaubte die Worte zu hören: Was habe ich getan? Was hab ich bloß getan?
    Der Henker krempelte sich die Ärmel hoch, dann nahm er eine glühende Zange vom Feuer und ging damit zu Robert. Sophie hörte es zischen, als die Zange die Haut berührte, sah den Rauch, der von Roberts Körper aufstieg, eine kleine,sich lustig kräuselnde Fahne. Was für entsetzliche Qualen musste er leiden! Der Henker ging mit grausamer Langsamkeit vor, traktierte mit seiner Zange Roberts Beine, eins nach dem andern, erst die Waden, dann die Oberschenkel. Danach nahm er sich den Oberkörper vor, riss an den Armen, an den Schultern, an den Brustwarzen, drehte und wand seine Zange, um die Fleischstücke, die sich nicht lösen wollten, herauszuzerren aus dem zuckenden Leib, der Wunden so groß wie Taler aufwies. Bei jedem Biss der Zange heulte Robert auf. Aber wie den verkohlten Armstumpf betrachtete er anschließend stets die Wundmale, und seine Schreie verstummten, sobald das Reißen aufhörte.
    »Nenn uns die Namen deiner Komplizen!«
    Sophie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Robert endlich redete. Doch er schüttelte nur immer wieder den Kopf, auf jede Frage, auf jede Aufforderung, die an ihn gerichtet wurde, störrisch und verstockt wie ein Heide, der nicht von seinen falschen Göttern lassen will. Kein Geständnis entwand sich seinem Mund, keine Bitte um Gnade, keine Lüge, um seine Haut zu retten, nicht mal ein Fluch. Wütend winkte der Henker seine Knechte herbei. Sie brachten ihm ihre brodelnden Arzneien: geschmolzenes Blei, kochendes Öl, brennendes Pech, Wachs und Schwefel, die er nacheinander in Roberts offene Wunden träufelte.
    »Mein Gott, gib mir Kraft! Gib mir Kraft!«
    Sophie biss sich auf die Lippe, um nicht mit ihm zu schreien. Hörte Gott denn nicht sein Flehen? Konnte er seine Ohren vor diesen Schreien verschließen, die doch ein Herz aus Stein erweichen mussten? Wenn Robert schrie, traten seine Augen aus ihren Höhlen, und seine Haare sträubten sich. Zwischen den Schreien aber hob er immer wieder den Kopf, um seinenLeib zu betrachten, während der Henker mit einem Eisenlöffel neuen Sud in seine Wunden goss. Sophie stöhnte. War es wirklich Gott, der ihm diese Kraft verlieh? Dann wäre es gnädiger gewesen, ihn seiner Kraft zu berauben, damit er ein schnelles Ende fand. Oder war es die Trunkenheit des Schmerzes, die ihn für diese Augenblicke stummen Schauens, die noch fürchterlicher waren als sein Schreien, fühllos gegen die Qualen machte?
    »Der Teufel hat ihn ausgespuckt!«
    »Nur ein Ungeheuer kann solche Schmerzen ertragen!«
    Sophie drehte sich um. Schaurige Bewunderung sprach aus den Gesichtern der Höflinge, die mit erhobenen Brauen in den Abgrund der Hölle blickten. Konnte es sein, dass sie sich an dem Inferno weideten? Plötzlich sah sie etwas, das alles Fassungsvermögen überstieg. Ganz in ihrer Nähe, nur ein paar Armlängen entfernt, machte Signor Casanova sich an den Röcken einer Dame zu schaffen, die sich vor ihm aus dem Fenster beugte, scheinbar ganz und gar in das grausame Schauspiel versunken, das sich unten auf dem Platz vollzog, in Wahrheit aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Ihre schlanke Hand umfasste ein prallrotes Glied, das für eine Sekunde aus einem goldenen Hosenlatz hervorschnellte, bevor es zuckend unter ihren Röcken verschwand.
    »Mehr noch! Mehr! Mehr! Mehr!«
    Es war Robert selbst, der seine Peiniger antrieb, die Qualen zu vermehren. Mit einer Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte, brachen die Schreie aus ihm hervor wie laut gewordene Schmerzen. War er von der Folter irre geworden? Schwanden ihm endlich die Sinne? Sophie wollte nicht länger sehen, wie er litt, und doch konnte sie nicht anders, ihre Muskeln widersetzten sich ihren Befehlen, sie musste ihre Augenauf Roberts Elend richten, wieder und wieder und wieder. Jetzt legte man seinen Leib, der aus hundert Wunden blutete und doch auf gespenstische Weise immer noch heil zu sein schien, auf ein hölzernes Kreuzgestell, und während ein Priester an seiner Seite auf ihn einsprach, ihm ein Kruzifix vor das Gesicht hielt, das er wieder und wieder küsste, befestigten die Henkersknechte an jedem seiner Arme und Beine das Zugseil eines Pferdes.
    »Erbarmen, Herr!«, brüllte Robert, als die Pferde anzogen.
    »Erbarmen!«
    Es war, als würde der Schrei sich in Sophies eigenem Herzen lösen. Sie hielt sich die Ohren zu, um nichts zu hören, doch konnte sie nicht davon lassen, ihn anzuschauen,

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