Die Philosophin
vorbereitet! Nichts herbeigeschafft! Kein Blei, kein Schwefel, kein Pech, kein Wachs! Lauft und holt das Zeug! Kaufen oder konfiszieren – aber schnell!«
Grauer Qualm stieg von dem feuchten Holz über dem Platz auf. Sophie fröstelte, doch nicht von der Kälte, die an diesem achtundzwanzigsten März des Jahres 1757 immer noch herrschte. Sie sah vor sich den Dorfplatz von Beaulieu, vor vielen, vielen Jahren, spürte die große Hand von Abbé Morel in der ihren, wie er sie durch die Reihen der Dorfbewohner führte, die alle gekommen waren, um die Hinrichtung ihrer Mutter zu sehen, hörte das Quietschen ihrer Galoschen im Morast, roch den brandigen Geruch. Die Erinnerung betäubte sie wie ein dumpfer Schmerz. Das Feuer wollte und wollte nicht brennen, die Zuschauer höhnten und spotteten und fingen an, den Henker und seine Knechte mit faulem Obst zu bewerfen. Sophie wünschte, es wäre schon Abend.
»Ich fürchte, das wird sich noch eine Weile hinziehen«, sagte die Pompadour. »Aber zum Glück haben wir ja Sie, Signor Casanova. Verkürzen Sie uns die Zeit, erzählen Sie uns von Ihren Reisen! Wir sind begierig, Ihre Abenteuer zu hören.« Dankbar für die Ablenkung, drehte Sophie sich um. Hinter dem Stuhl der Pompadour stand ein Mann, der alle Blicke der Anwesenden auf sich zog: ein hagerer Italiener mit scharfer Nase im olivfarbenen Gesicht und großen hervortretenden Augen.
»Was kann ich schon zur Kurzweil beitragen, Marquise?«, entgegnete er. »Ich fürchte, ich werde Ihre Gäste nur langweilen.«
»Seien Sie unbesorgt, Signor Casanova! Stimmt es, dass Sie wegen einer Liebschaft in den Bleikammern saßen? Hat man Sie darum aus Venedig verbannt?«
»Was für ein hässliches Wort, Madame. Sagen wir lieber, es ist besser für mein leibliches Wohl, mich für eine Weile von meiner Heimatstadt fern zu halten. Außerdem liebe ich Paris. Hier ist der Mittelpunkt allen Lebens, der Zivilisation und der Aufklärung. Hier kündigt sich ein neues Zeitalter an.«
»Trotz der Bedrohung durch unsere Feinde?«
»Sie meinen die Engländer und Preußen?« Casanova verzog mitleidig das Gesicht. »Die einen verstehen nicht zu kochen, die anderen nicht zu lieben. Wie soll von solchen Nationen Gefahr für Frankreich ausgehen, das doch beide Künste in vollkommener Weise kultiviert hat? – Aber mir scheint, da naht unsere Hauptperson!«
Die Bemerkung holte Sophie in die Wirklichkeit zurück. Plötzlich schämte sie sich. Während da unten, keinen Steinwurf von ihnen entfernt, die Tötung eines Menschen vorbereitet wurde, trieb man hier Konversation wie bei einemSouper in Versailles. Und sie hatte interessiert zugehört wie alle anderen, nur um sich abzulenken.
Vom Platz schlug lautes Johlen und Schreien empor. Sophie griff nach ihrer Kette. Das grausige Schauspiel begann. Unweit des Châtelet wurde ein von mehreren Doppelposten bewachtes Tor geöffnet. Ein an Händen und Füßen gefesselter Mann stolperte ins Freie. Die Bajonette voran, bahnten die Gardisten eine Gasse durch die Menge, während vier Soldaten den Delinquenten in die Richtung des Schafotts schleiften. Die Gäste der Pompadour drängten sich ans Fenster, beugten sich über die Brüstung, sodass sie beinahe hinausfielen, schoben und quetschten sich wie unten das Volk.
»Da ist er! Der Königsmörder!«
Sophie konnte nichts mehr sehen, die Sicht war plötzlich verdeckt, überall vor ihr waren Köpfe und Schultern, Perücken und Hüte. Unwillkürlich sprang sie von ihrem Platz auf und zwängte sich ans Fenster. Zwischen zwei Rücken hindurch entdeckte sie den Verurteilten: Reglos saß er auf dem Blutgerüst und wartete auf die Vollstreckung seines Urteils, einsam wie der erste Mensch der Schöpfung inmitten all der Menschen, die gekommen waren, um seinen Tod zu sehen. Nur seine Beine zuckten, während zu seinen Füßen Händler Obst und Erfrischungen aus ihren Bauchläden ans Publikum verkauften und der Scharfrichter hinter ihm sein Werkzeug ordnete. Über dem immer noch qualmenden Feuer hing ein riesiger Kessel, in dem ein dunkler Sud kochte.
»Neunzehn Folterknechte«, sagte jemand. »Ich habe sie gezählt.«
»Ein schlechtes Geschäft für den Henker«, erwiderte ein anderer. »An einer solchen Hinrichtung ist nichts verdient.« Sophie wollte sich abwenden, auf ihren Platz zurückkehren,Zuflucht nehmen hinter den Köpfen und Rücken und Schultern, um sich abzuschirmen vor dem, was nun kommen würde. Ihre Hände waren inzwischen nass von Schweiß, sie zitterte
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