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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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unterscheiden.
    Während Radominsky mit ansehen musste, wie er und seine Glaubensbrüder zum Gespött gemacht wurden, stellte er sich eine bittere Frage: War die Allianz mit seinen Feinden, den jansenistischen Ketzern, der Fehler seines Lebens gewesen?
    Nach dem Mordanschlag auf den König und der Hinrichtung des Attentäters war die Gesellschaft Jesu nicht mehr zur Ruhe gekommen. Hatte sie früher als eine durch nichts und niemanden zu erschütternde Macht im Staat und der ganzen Welt gegolten, mit größtem Einfluss auf die Höfe der Herrscher, unermesslichen Geldmitteln und dem Heiligen Geist auf ihrer Seite, kämpfte sie nun um das nackte Überleben. Dabei drohte das Unheil nicht nur von den bekannten Widersachern des Glaubens, der entscheidende Schlag war vielmehr von Kräften ausgegangen, die über zwei Jahrhunderte lang verlässliche Stützen des Ordens gewesen waren.
    Alles hing mit allem zusammen – es war, als hätte jemand am anderen Ende der Welt in den Ozean gespuckt, undnun drohten die Wellen, die dieser unscheinbare Vorfall ausgelöst hatte, ganz Frankreich hinwegzuspülen. Der Sturm hatte sich in den jesuitischen Kolonien der Neuen Welt erhoben, auf den Kleinen Antillen im fernen Amerika, wo einige hunderttausend Indios unter der Leitung fleißiger Patres ein nahezu pflanzenhaftes Leben geführt hatten, geregelt vom Glockenzeichen am Morgen bis zum Abend. Doch auf dem stillen Winkel hatte ein Fluch gelegen, die Unternehmungen der frommen Gemeinschaft waren vom Unglück verfolgt. Eine Seuche hatte unter den Indios gewütet, es hatte Aufstände und blutige Kampagnen gegeben, um sie an ihre Bestimmung zu erinnern, ihren weißen Herren als Sklaven zu dienen – ohne Erfolg. Ein Bankhaus, das die Mission der Patres finanzierte, war zusammengebrochen, der vormals so reiche Orden wurde plötzlich von gewaltigen Schulden erdrückt, für die nun alle Provinzen der Gesellschaft Jesu aufkommen sollten, auch wenn sie selber nicht das Geringste mit den Kolonien zu tun hatten. So hatte das Konsulargericht von Paris entschieden, der Missionsverwalter müsse einen Wechsel von dreißigtausend Louisdors begleichen, weil die Jesuiten auf der ganzen Welt von
einem
General geleitet würden und darum eine Provinz für die andere einstehen müsse – widrigenfalls könne der Schuldner Hand auf sämtliche Vermögenswerte der Gesellschaft in Frankreich legen. Gegen das Urteil hatte der Pariser Provinzial sofort Einspruch erhoben, doch das oberste Gericht des Landes, das Parlament, das unterwandert war von jansenistischen Speichelleckern und Verrätern, hatte für die gemeinsame Haftung des Ordens entschieden.
    Was für ein teuflischer Plan! Um das Volk von dem unglücklichen Krieg abzulenken, den Frankreich seit Jahren gegenPreußen und England ohne Aussicht auf ein Ende führte, verfolgte die Regierung die Jesuiten, in der klammheimlichen Hoffnung, durch Beschlagnahme des Ordensvermögens die Geldnot des Staates zu mildern. Während sie die Zerstörung der Gesellschaft Jesu vorantrieb, überzog das Parlament die Patres mit widerwärtigsten Verleumdungen und Anschuldigungen, die sich von Blasphemie und Lüge über Magie und Totschlag bis zu Hurerei und Päderastie erstreckten, und verurteilte vierundzwanzig jesuitische Werke, weil sie angeblich den Königsmord rechtfertigten und die gallikanischen Freiheiten leugneten. Gleichzeitig verbot das Gericht dem Orden, Novizen aufzunehmen und öffentlich oder privat Unterricht zu erteilen. Mit der unseligen Folge, dass auch der Heilige Vater in Rom Anklage gegen die Gesellschaft Jesu erhob.
    »Da! Seht die schwarze Krähe!«
    Ein Gegenstand flog in Radominskys Richtung, nur knapp an seinem Kopf vorbei. Plötzlich sah er in hundert Gesichter, die ihn mit lüsternen und begierigen Blicken anstarrten wie bei einer Hinrichtung. Frauen und Männer reckten ihm die Fäuste entgegen, pfiffen und johlten. Sollte der Fluch Francesco di Borgias in Erfüllung gehen, des dritten Ordensgenerals? »Es wird eine Zeit kommen«, hatte der heilige Mann seinen Glaubensbrüdern prophezeit, »in der ihr eurem Hochmut und Ehrgeiz keine Schranken mehr auferlegen und nur noch darauf bedacht sein werdet, Reichtümer anzuhäufen und euch Einfluss zu verschaffen, die Ausübung der Tugenden aber vernachlässigt. Dann wird es auf Erden keine Macht geben, die euch zu eurer ursprünglichen Vollkommenheit zurückführen könnte, und wenn es möglich ist, euch zu vernichten, so wird man es tun.«
    Die Soldaten zogen

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