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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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geworden, die er je geführt hatte, voller Widersprüche und Ungereimtheiten. Malesherbes verkehrte mit dem Erzbischof von Paris ebenso wie mit zwielichtigen Gestalten vom Schlage Rousseaus oder d’Alemberts; er wohnte am Morgen dem Lever des Königs in Versailles bei und besuchte am Nachmittag Vorträge in der Académie des Sciences; er warnte einmal vor den aufrührerischen Gazetten aus Holland, die sich in Frankreich ausbreiteten, um das ganze Königreich in Brand zu stecken, und hielt dann wieder seine schützende Hand über die Enzyklopädie, die doch weit größeren Schaden anrichtete als alle Publikationen Europas.
    Am verwirrendsten aber war das
Memorandum über die Pressefreiheit,
das Malesherbes auf Anfrage des Dauphins handschriftlich verfasst hatte. Einigen wenigen Sätzen zur Verteidigung von Staat und Kirche gegen die Angriffe der Philosophen, wonach alle Bücher zu verbieten seien, die »einzelne Personen verunglimpften, die Regierung gefährdeten, sich gegen die guten Sitten oder die Religion stellten«, folgte eine ganze Flut von Sätzen, die nichts anderes waren als offene Appelle zum Aufruhr. »Wir leben«, stand da zu lesen, »ineinem Jahrhundert und in einem Land, wo es einem Verbrechen gleichkommt, sich um das öffentliche Wohl zu bemühen … Es sind die Unruhen, die zur Zügellosigkeit in den Schriften geführt haben, nicht aber haben die Schriften die Unruhen hervorgerufen … Wenn wir verbieten, Irrtümer zu verbreiten, behindern wir den Fortschritt der Wahrheit, weil alle neuen Wahrheiten für einige Zeit als Irrtümer gelten …«
    Sorgfältig las Sartine das ganze Dossier, in dem er unter sechs verschiedenen Rubriken alle Informationen zusammengetragen hatte, die er in den letzten Monaten über seinen Dienstherrn hatte sammeln können. Auch wenn er nicht wusste, was ihn an diesem Nachmittag erwartete – es war immer von Vorteil, einen Menschen genau zu studieren, bevor man sich mit ihm traf. Malesherbes hatte ihn für fünf Uhr in sein Stadtpalais in der Rue Vivienne bestellt. Ein ungewöhnlicher Ort für eine dienstliche Unterredung.
    »Wie schön, Sie zu sehen«, empfing der Direktor der königlichen Hofbibliothek ihn zwei Stunden später in seinem prachtvollen Salon. »Ich schlage vor, wir trinken erst mal ein Glas?«
    »Gern«, erwiderte Sartine, obwohl er im Dienst sonst keinen Alkohol anrührte.
    Ein Lakai reichte ihm auf einem Tablett ein gefülltes Sherryglas, als wäre er ein guter Freund des Hausherrn – ein weiterer Grund zur Irritation. Während Malesherbes ihm einen Platz anbot, schaute Sartine sich um. Einer seiner Grundsätze besagte, niemals den Besitz anderer in Frage zu stellen, sich lieber über das selber Erreichte zu freuen, statt neidvoll nach fremdem Hab und Gut zu schielen. Doch angesichts der Spiegel und Leuchter, der Gold- und Stuckverzierungen, der Bilder und Gobelins, der kostbaren Möbel und Teppiche, indenen man beinahe versank, geriet sein Grundsatz für einen Moment ins Schwanken. Würde er wohl jemals so ein Haus besitzen? Ganz sicher nicht, egal, mit welcher Aufopferung er seinen Dienst versah. Um als Polizeioffizier ein solches Haus zu führen, musste man Generalleutnant sein. Aber dieses Amt, das einen Adelstitel zur Voraussetzung hatte und außerdem ein Vermögen kostete, würde er niemals erreichen.
    »Es ist mir eine hohe Ehre, hier von Ihnen empfangen zu werden«, sagte er, ohne von dem angebotenen Platz Gebrauch zu machen. »Darf ich den Grund erfahren, weshalb Sie mich rufen ließen?«
    »Aber sicher, natürlich, warum nicht, ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen«, erwiderte Malesherbes umständlicher, als es seine Art war, und erhob sich wieder von seinem Stuhl, als er sah, dass sein Gast keine Anstalten machte, sich zu setzen. »Sie haben mir schon manchen wichtigen Dienst erwiesen, Sartine, und Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze. Heute allerdings möchte ich Sie um einen Gefallen bitten, der mir mehr bedeutet als alles, was Sie bisher für mich geleistet haben, obwohl es sich um eine Frage handelt, die eher privater Natur ist.« Er räusperte sich und trank einen Schluck. Dann sagte er: »Ich möchte, dass Sie sich scheiden lassen.«
    »Wie bitte?«, fragte Sartine, völlig überrumpelt.
    Malesherbes nickte.
    »Pardon, Monsieur, wenn Sie von meinem Ehestand sprechen, so sehe ich keinerlei Grund, an diesem etwas zu ändern.«
    »Ich bin mir bewusst«, erwiderte Malesherbes mit angestrengtem Lächeln, »das Ansinnen muss Sie

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