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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zu kurz, um es an Dinge zu verschwenden, die wir nicht ändern können. Dafür sollten wir uns mit ganzer Kraft jenen Aufgaben widmen, auf die wir noch Einfluss haben. Aufgaben und Menschen.« Sie drückte Sophies Hand. »Glaubst du nicht, du solltest zu Diderot zurückkehren? Dein Herz gehört ihm immer noch, ich spüre es – auch wenn du es selbst nicht wahrhaben willst.«
    Sophie wich dem prüfenden Blick aus. Die Augen auf die Bücherregale an den Wänden gerichtet, sagte sie leise: »Ich habe zweimal versucht zu lieben, und zweimal habe ich Schiffbruch erlitten.«
    »Willst du es nicht ein drittes Mal versuchen? Mach nicht denselben Fehler wie ich. Ich habe viel zu früh aufgegeben.«
    Sophie ließ den Blick über die Maroquinrücken in den Regalen schweifen. Hinter den wappengeschmückten Schildern verbargen sich unendlich viele Geschichten, deren Inhalt und Ausgang sie niemals erfahren würde. Kam es da auf eine Geschichte mehr oder weniger an?
    »Ich kann nicht mehr an die Liebe glauben«, sagte sie bitter. »Wenn die Menschen behaupten, sie hätten ihr Herz verloren, ist es meistens doch nur ihr Verstand. Manchmal erscheint mir die Liebe wie eine Art Gemütskrankheit, die man durch die Ehe zu kurieren versucht.«
    »Das mag auf neunzig Prozent aller Fälle zutreffen, und hier am Hof von Versailles vielleicht sogar auf hundert Prozent. Doch gilt das auch für dich?« Die Pompadour wartete ab, bis Sophie sich wieder zu ihr umwandte. »Lange Jahre«, fuhr sie dann fort, »habe ich versucht, die Liebe zu leugnen. Weil ich fürchtete, durch sie zu verlieren, was mir stets am wichtigsten erschien: Macht zu haben – über mich und andere. Doch was ist Macht im Vergleich zur Liebe? Die Liebe ist die Seele des Lebens, Anfang und Ende von allem, was wir tun. Darum ist sie das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn wir es verschwenden. Die Augen davor zu verschließen war vielleicht der größte Irrtum meines Lebens.«
    »Mir fehlt nicht nur der Glaube, Madame, mir fehlt auch die Kraft. Ich empfinde die Liebe nur noch wie ein Messer, das in meiner Seele wühlt.«
    Die beiden Frauen schwiegen eine Weile.
    Dann sagte die Pompadour: »Vielleicht ist es so, wie du sagst, Sophie. Vielleicht haben wir nur die Kraft, ein einziges Mal im Leben wirklich zu lieben, und zwar das erste Mal, um uns später mit kleinen Liebeleien über diesen großen Verlust hinwegzutrösten. Ja, vielleicht ist es sogar das Merkmal wirklicher Liebe, dass sie vergeht wie ein brennender Dornbusch. Aber muss deshalb am Ende nur Asche übrig bleiben?«
    Sophie wusste keine Antwort auf diese Frage.
    Die Pompadour sagte: »Wenn du nicht zu Diderot zurückkehrenkannst, dann hilf ihm zumindest, sein Werk zu vollenden.«
    »Wozu?«, fragte Sophie. »Immer, wenn ich ihm helfen wollte, wurde alles nur noch schlimmer.«
    »Trotzdem, du musst es versuchen, selbst wenn du nicht daran glaubst. Das bist du der Liebe schuldig, die du einmal für ihn empfunden hast …«
    Ein Hustenanfall unterbrach sie.
    »Hören Sie auf zu sprechen!«, sagte Sophie besorgt. »Bitte! Es strengt Sie zu sehr an.«
    »Es ist schon wieder vorbei.« Die Pompadour rang nach Luft; jedes Wort, das sie sprach, schien ihr Qualen zu bereiten. Und doch redete sie weiter, mit brüchiger, kaum hörbarer Stimme. »Du musst es mir versprechen, Sophie – es ist deine Pflicht, Diderot zu helfen. Seine Feinde haben alle Macht im Staat erobert. Wenn ich sterbe, wird niemand mehr da sein, der ihn und die Enzyklopädie vor ihren Angriffen schützt.« Sie hob die Hand, damit Sophie sie nicht unterbrach. »Bis jetzt gab es zwar strenge Gesetze, aber die Handhabung war lax. Unter Maupéou als Kanzler wird die Handhabung ebenso streng sein wie die Gesetzgebung selbst. Ein missverständlicher Artikel, ein falsches Wort genügt, und die Enzyklopädie wird für immer verdammt. Sie werden Diderot verhaften, ihn nach Vincennes bringen oder sogar aufs Schafott.«
    »Glauben Sie, dass sie zu solchen Verbrechen fähig sind?«
    »Du nicht?«, fragte die Pompadour zurück. »Der neue Kanzler war schon mein Feind, als ich noch eine schöne Frau war. Und Sartine wird jede Gelegenheit nutzen, um sich für die Demütigungen in seinem Leben zu rächen. Hast du seinen Brief vergessen? Um wie viel gefährlicher wird er in Zukunfterst sein! Als Polizeipräfekt und Chef der Zensurbehörde ist er einer der mächtigsten Männer in Paris.«
    Erschöpft sank sie auf ihr Kissen und schloss die Augen.
    »Aber der König?«, fragte

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