Die Philosophin
Sophie. »Ist von ihm gar keine Hilfe zu erwarten?«
Die Pompadour lächelte wie in Erinnerung an einen schönen Traum. »Ludwig ist ein charmanter Mann, aber er hat keinen Charakter. Er ist wie ein Kind, immer braucht er jemanden, der sich um ihn kümmert und ihn glücklich macht. Nein, er wird niemandem helfen.«
Durch das Fenster sah Sophie, wie sich draußen die Dämmerung zwischen den Bäumen und Büschen ausbreitete. Die Schatten waren so lang, dass sie den ganzen Park aufzuzehren schienen.
»Ich habe Angst«, flüsterte sie.
»Ich auch, Sophie … Ich auch …«
Jemand öffnete leise die Tür. Ein Abbé kam herein, ein magerer, knochiger Mann, der mit ernstem Kopfnicken grüßte. Er trug einen Messkelch und ein Gebetbuch bei sich.
»Da staunst du, nicht wahr?«, sagte die Pompadour mit einem Lächeln. »Père Sacy hat sich bereit erklärt, mir die Beichte abzunehmen. Auf die Gefahr hin, dass man ihn seines Amtes enthebt. Nun, ich fürchte, es wird ein längeres Gespräch werden.«
»Dann lasse ich Sie jetzt allein«, sagte Sophie und stand auf. Sie beugte sich über die Kranke, um sie zu küssen. Doch die Pompadour wehrte ab.
»Nein … es ist zu gefährlich. Du könntest dich anstecken. Aber ich danke dir – für alles.« Sie nahm noch einmal Sophies Hände und schaute sie an. Ihre schwarzblauen Augen glänzten, sie schien wieder Fieber zu haben. »Und vergiss nicht, dumusst Diderot helfen. Du bist die Einzige, die ihn schützen kann. Ihn und die Enzyklopädie … Aber jetzt geh bitte, ich habe mit Père Sacy noch viel zu bereden – mehr als mir lieb sein kann.« Sie sprach jetzt so leise, dass Sophie die Worte nur noch ahnen konnte. »Er will mich partout mit Gott versöhnen. Dabei weiß ich nicht einmal, ob es mir im Himmel gefallen wird. Ich fürchte, ich werde dort nur wenige Bekannte wiederfinden.«
Ein letztes Lächeln – dann ließ sie Sophies Hände los und drehte den Kopf zur Wand.
13
Am Palmsonntag des Jahres 1764, am fünfzehnten April gegen sieben Uhr abends, tat die Marquise de Pompadour, geborene Jeanne-Antoinette Poisson, geschiedene d’Etioles, nach einem rastlosen und anstrengenden, nur dreiundvierzig Jahre währenden Leben im Königspalast zu Versailles ihren letzten Atemzug. In Sünde war sie empfangen worden, vor Kummer und Auszehrung musste sie sterben.
Es war, als wäre eine große Spieluhr stehen geblieben, deren Seele und Antrieb die Marquise gewesen war. Die goldfarbenen Gondeln auf dem Kanal, der Versailles mit dem Lustschloss La Celle verband, dümpelten nutzlos am Ufer, als würden sie nie wieder zu einer Vergnügungspartie gebraucht, während die rosa und gelben Rosenbäumchen, die sich in dem stehenden Wasser widerspiegelten, welk die Blüten hängen ließen. Alles Lachen war verstummt, die Lampions inden Kolonnaden schienen für immer erloschen. Selbst die Vögel in den kegelförmig gestutzten Bäumen entlang des Kanals hatten aufgehört zu zwitschern, und die Schäfchenwolken am blauen Frühlingshimmel, der sich wie ein Theaterplafond über das meerschaumweiße Lustschloss spannte, regten sich nicht, als hätte die Zeit selbst ihren Betrieb eingestellt.
Dem König wurde nachgesagt, er habe beim Anblick des Leichenzugs, der die sterblichen Überreste der Pompadour nach Paris überführte, wo sie in der Kapelle der Kapuzinerinnen an der Place Vendôme beigesetzt werden sollten, nur ein kühles, herzloses Wort gefunden über die Frau, die ihn so viele Jahre die Ödnis seines Daseins hatte vergessen lassen. Er habe sie niemals geliebt, sagte er, und sie nur behalten, um sie nicht zu töten. Und kaum war sie begraben, hörte man auf, nach ihr zu fragen, als ob sie niemals existiert hätte. »So ist die Welt«, bemerkte die Königin Maria Leszczynska mit einer gewissen Genugtuung. »Es lohnt sich wahrhaft nicht, sie zu lieben.«
Am Abend nach der Beisetzung lag Sophie viele Stunden wach in ihrem Bett, unfähig zu schlafen oder einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Wohnung in La Celle, die sie auf Anordnung des Majordomus noch einen Monat behalten durfte, war so leer, dass die Stille in ihren Ohren zu dröhnen schien. Sie hatte ihre beste Freundin verloren – die einzige Freundin, die sie je gehabt hatte. Bis zuletzt hatte die Marquise alles getan, um ihr zu helfen, noch auf dem Sterbebett hatte sie sich um ihre Belange gekümmert. Umso eindringlicher empfand Sophie die Mahnung, mit der die Pompadour sich von ihr aus dem Leben verabschiedet hatte. Ausgerechnet
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