Die Philosophin
zu sichern? Von dem Augenblick an, da das Schicksal sie auf ihren hohen Posten gehoben hatte, war dies ihr Bestreben gewesen. Hinter der Maske immerwährender Sorglosigkeit hatte sie davon geträumt, ihren Namen mit glanzvollen Siegen zu verbinden, mit eroberten Städten, unterworfenen Provinzen – mit dem ganzen Ruhm Frankreichs. Was war von all den Träumen geblieben? Wenigen Siegen standen zahllose Niederlagen entgegen, vor allem ihre Niederlage als Frau. Sie fühlte sich geschlagen wie die französischen Generäle und Soldaten, die nach sieben Jahren zermürbender Schlachten gegen die Preußen und Engländer inzwischen erschöpft die Waffen gestreckt hatten, um mit ihren Feinden einen faulen Frieden zu schließen. Nein, die Pompadour gab sich keinen Illusionenhin. Es war nur noch Barmherzigkeit, weshalb der König an ihr festhielt. Vielleicht befürchtete er eine Verzweiflungstat, wenn er sie jetzt verließ.
Und noch eine zweite Frage beschäftigte sie in den wenigen Stunden, die ihr noch blieben. Was würde nach ihr kommen? Während Ludwig Trost und Vergessen in den Armen der schönen Demoiselle Ronan fand – voller Bitterkeit roch die Marquise das Parfüm ihrer Rivalin in den Kleidern des Königs, wenn er sie an ihrem Bett besuchte –, nutzten die Gegner der Pompadour bereits ihr Siechtum, um am Hof ihre Truppen in Stellung zu bringen. Der alte Kanzler und sein Sohn hatten kaum demissioniert, da rissen ihre Widersacher in nur wenigen Tagen alle bedeutenden Ämter an sich. Mit Unterstützung des Parlaments sowie des Erzbischofs von Paris hoben sie Staatsrat Maupéou auf ihr Schild, den Mann, der die Todesstrafe für alle Druckerzeugnisse, die zum Aufruhr gegen die Kirche oder den Staat anstifteten, zum Gesetz erklärt hatte.
Am meisten aber machte der sterbenden Marquise eine Veränderung Sorge, die das künftige Schicksal der von ihr so geliebten Bücher betraf. Denn nur wenige Tage, nachdem Maupéou als neuer Kanzler des Königreichs im Amt war, hatte er zum neuen Aufseher des Buchwesens und obersten Zensor im Land einen Mann ernannt, der ihr gefährlicher erschien als jeder andere denkbare Kandidat: Antoine de Sartine.
12
Sophie wich unterdessen keine Stunde vom Krankenlager der Pompadour. Der Husten der Marquise verschlimmerte sich von Tag zu Tag, das Fieber schien unaufhörlich zu steigen, und immer wieder wurde sie von schweren Erstickungsanfällen geplagt. Dr. Quesnay, dem langjährigen Leibarzt der Patientin, gelang es kaum noch, seine Besorgnis vor ihr zu verbergen, während Sophie Tag und Nacht tätig war, um ihre Leiden zu lindern. Sie führte die Anweisungen der Ärzte aus, die Dr. Quesnay in immer größerer Zahl zu Rate zog, gab der Kranken Eselsmilch und Orangenblütenwasser zu trinken, stützte sie bei den Hustenanfällen und senkte mit feuchten Umschlägen und Wadenwickeln ihr Fieber.
Dann plötzlich, drei Wochen, nachdem die Marquise in den Königspalast zurückgekehrt war, um zu sterben, trat eine erstaunliche Besserung ihres Zustands ein. Es war ein vollkommenes Wunder. Das Fieber sank, der Husten hörte fast ganz auf, und eines Morgens konnte sie sogar ihr Bett verlassen, um auf einer Ottomane ihr Frühstück einzunehmen.
Ihr Blick war klar, ihre Stimme fest, als sie Sophie aufforderte, auf einem Stuhl an ihrer Seite Platz zu nehmen.
»Was wirst du tun, wenn ich nicht mehr da bin?«
»Was ist das für eine Frage?«, erwiderte Sophie erschrocken. »Sie dürfen so nicht reden, Madame. Warten Sie ab – keine zwei Wochen, und Sie sind wieder gesund und wir fahren mit der Kutsche in den Bois de Boulogne.«
»Ich weiß, was du für mich empfindest, Sophie«, sagte die Pompadour und nahm ihre Hand. »Aber machen wir uns nichts vor! Dies ist nur ein letztes Aufflackern der Lebensgeister.Lass uns die Zeit nutzen, solange wir sie noch haben!« Sie schaute sie liebevoll an. »Was also wirst du tun, wenn es soweit ist? Sag es mir, ich möchte es wissen. Wirst du den Hof verlassen?«
Sophie spürte, dass sie ihrer Freundin die Antwort nicht schuldig bleiben durfte. Doch mehr als ein stummes Nicken brachte sie nicht zustande.
Die Pompadour verstand sie auch ohne Worte. »Und Monsieur de Malesherbes? Wirst du dich an ihm rächen?«
Sophie schüttelte den Kopf. »Nein. Rache ist keine Lösung – es gibt überhaupt keine Lösung. Was er getan hat, ist so ungeheuerlich … Ich glaube, darüber kann nur Gott richten.«
»Du hast Recht«, pflichtete die Pompadour ihr bei. »Das Leben ist
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