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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sich ihrer Brust ein Seufzer. Was war das für ein seltsames Wort? Warum hatte es dieseMagie, die sonst kein anderes Wort besaß? Ein Nachtwächter hob seine Laterne in Sophies Richtung. Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte. Vor ihr auf der Flussinsel der Cité erhob sich dunkel und groß die Silhouette von Notre-Dame, ein mächtiges Schiff Gottes, umströmt von den glänzenden Wellen der Seine, die im Mondlicht zu schlafen schien. Das Lärmen der Menschen war hier am Ufer vollkommen verstummt, nur jene Tiere, die erst am Abend erwachten, füllten die Stille der Nacht mit geheimnisvollem, geräuschlosem Leben. Große Vögel flogen auf, lautlos wie dunkle Flecken, und verloren sich als Schatten in der Luft, und irgendwo sandte eine Unke ihren einsamen Ruf zum Mond hinauf.
    Liebe! Seit Sophie das Kloster verlassen hatte, verspürte sie Angst vor dem Nahen dieser unheimlichen Macht. Ihre Mutter war ihr erlegen, und die Äbtissin hatte das Wort stets nur geflüstert, als fürchte sie, mit seiner Nennung eine Heimsuchung heraufzubeschwören, einen bösen Dämon der Unterwelt. Doch gleichzeitig empfand Sophie trotz aller Furcht beim Klang dieses geheimnisvollen Wortes eine Sehnsucht wie sonst nur während der heiligen Messe, wenn die anderen Gläubigen zur Kommunion schritten, um den Leib des Herrn zu empfangen, sie aber in ihrer Bank verharren musste, von der Gemeinschaft ausgeschlossen, um ihrer selbst auferlegten Buße zu genügen.
    Am Pont Neuf machte sie kehrt. Sie konnte nicht die ganze Nacht durch die Straßen wandern – bis zum Aufstehen waren es nur noch wenige Stunden, und dann lag wieder ein neuer langer Tag vor ihr, an dem sie Hunderte von Gästen bedienen musste. Wen kümmerte es da, dass Antoine Sartine sie zur Frau nehmen wollte?
    Sie wählte den Weg durch die breite Rue Mazarine, die auch zu dieser späten Stunde noch belebt war. Im Schein der Réverbèren, kleiner künstlicher Monde in der Finsternis, die hier alle dreißig Schritt an Schnüren über der Straße hingen, um mit ihrem trüben ölgespeisten Licht die nächtlichen Passanten vor Überfällen zu schützen, kehrte Sophie zurück. Sie hatte gerade die Kreuzung erreicht, wo die Rue des Fossés Saint-Germain anfing, und sah schon das hohe Gebäude, in dessen Mansarde ihre Schlafkammer lag, da hörte sie plötzlich Schritte. Im nächsten Augenblick stand ein Mann vor ihr, ein Fremder mit einem Hut auf dem Kopf. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück, doch als der Fremde den Hut abnahm und sich vor ihr verbeugte, erkannte sie sein Gesicht: Vor ihr stand der Lastenträger, der Mann mit dem kleinen Kopf, der Schokoladetrinker – Monsieur Diderot.
    »Was fällt Ihnen ein, mir aufzulauern!«, rief sie, als sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte.
    »Ich lauere der Schönheit auf, wo immer ich sie anzutreffen hoffe.«
    »Warum besuchen Sie dann nicht Madame de Puisieux. Ich bin sicher, sie wartet schon auf Sie.«
    »So wie der große Herrscher Mongagul auf seine Prinzessin Mirzoza?«
    »Mongagul?«, fragte Sophie, gegen ihren Willen neugierig.
    »Was soll das für ein Herrscher sein? Ich habe nie von ihm gehört.«
    »Wie, du kennst deinen glühendsten Verehrer nicht?« Bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte, fing er schon an zu erzählen. Von dem Sultan Mongagul, dessen Palast sich in der Wüste der Traurigkeit erhob, wo statt süßem Wasser salzige Tränen die Brunnen speisten, sodass der Sultan umsoquälenderen Durst litt, je öfter er davon trank. Nur ein Lächeln würde ihn von diesem Fluch befreien. Aber vergeblich bemühten sich die Narren am Hof, ihn aufzuheitern, nicht einmal die reizendsten Jungfrauen seines Reiches, die der berühmte Magier Cucufa mit seinem Zauberring herbeibefahl, damit sie den Gebieter umgarnten, konnten Mongagul von dem großen Kummer erlösen.
    »War denn keine schön genug?«, fragte Sophie und lachte.
    »Arme Madame de Puisieux!«
    »Armer Mongagul!«, widersprach Diderot und zog ein Gesicht, als litte er selbst die Qualen des Sultans. »Eines Tages aber«, fuhr er dann fort, »klopfte eine junge Prinzessin an die Pforte seines Palastes. Mirzoza war ihr Name, sie stammte aus der entferntesten Provinz des Reiches, der kleinsten und zugleich schönsten Provinz, der Provinz der Glückseligkeit. Ihr Haar loderte wie die Flammen eines Feuers, und bei sich trug sie eine dampfende Schale süßer Schokolade. Das war die Medizin ihrer Heimat, die wollte sie dem Herrscher bringen. Und wirklich, als

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