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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Es gibt ganz verschiedene davon. Freust du dich nicht?«
    »Doch, natürlich, es ist sehr … hübsch«, sagte sie und gab sich Mühe, ihre Irritation zu verbergen. »Wie lieb von dir.« Sie öffnete den Verschluss und legte sich die Kette um den Hals.
    »Hast du sie bei den Sachen von meiner Mutter gefunden?«
    Sartine schüttelte den Kopf. Er nahm ihre Hände und schaute sie an. Sein sonst so sorgfältig rasiertes Gesicht war von Bartstoppeln übersät.
    »Nein, Sophie, leider. Um dir die Wahrheit zu sagen: Ich habe überhaupt nichts gefunden. Gar nichts. Es gibt keine Sachen mehr von deiner Mutter. Die ganze Reise war – umsonst.«
    »Umsonst? Aber warum? Hast du mit niemandem gesprochen? Abbé Morel, Baron de Laterre – sind sie alle schon tot?«
    Sartine nickte. »Und was noch schlimmer ist – das Kirchenarchiv ist abgebrannt, mit allen Büchern, Urkunden, Dokumenten. Vor zwei Jahren ist es passiert.«
    »Das heißt …«, sagte Sophie, unfähig, den Satz zu Ende zu sprechen.
    »Ja«, erwiderte er und drückte ihre Hand. »Es ist alles vernichtet.Wir werden die Wahrheit über deine Mutter – ich meine, über den Prozess – wohl nie erfahren.«
    Sophie ließ seine Hand los, sie musste sich setzen.
    »Wer weiß, wozu es gut ist«, sagte Sartine, während sie auf einen Stuhl sank. »Vielleicht ist es sogar besser so. Es ist ja alles schon sehr lange her, und außerdem …«
    »Außerdem was?«
    »Ich meine, was hättest du davon, die alten Dinge wieder aufzurühren?«
    Sophie blickte ihn verständnislos an. »Ich muss doch wissen, was damals passiert ist. Ich kann doch jetzt nicht einfach Ruhe geben und schweigen, nur weil alles verbrannt ist.«
    »Wenn schon!«, rief er und warf seine Stiefel in eine Ecke.
    »Manchmal ist es besser zu schweigen – zu schweigen und zu vergessen.«
    »Das rätst du mir? Das glaube ich nicht!«
    »Sei doch vernünftig, Sophie!«, sagte er mit hörbarer Ungeduld in der Stimme. »Was passiert ist, ist passiert! Wir können die Dinge nicht wieder ungeschehen machen. Himmelherrgott, wo sind denn meine Hausschuhe?«
    Als gäbe es gerade nichts Wichtigeres, bückte er sich, um sie zu suchen, schaute unter dem Tisch nach, unter dem Stuhl, unter dem Herd.
    »Hier«, sagte Sophie und reichte sie ihm.
    Statt die Schuhe zu nehmen, blickte er sie an, unsicher, fast verängstigt, doch gleichzeitig lauerte eine seltsame Wut auf dem Grund seiner Augen, wie eine Warnung. Sophie fröstelte – sie kannte diesen Blick: Genauso hatte er sie schon einmal angesehen, in der Nacht vor seiner Abfahrt, als er sie beim Lesen überrascht hatte. Und ohne dass sie wusste, warum, drängte sich ihr eine Frage auf, eine vollkommen unsinnigeFrage, die jetzt überhaupt nicht von Bedeutung war, doch die sie während seiner Reise die ganze Zeit unterdrückt hatte, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie ihrem Mann diese Frage vor allen anderen Fragen stellen musste, hier und jetzt, in diesem Augenblick.
    »Wofür hast du Urlaub bekommen?«
    »Weshalb willst du das wissen?«, erwiderte er, gleichzeitig verblüfft und gereizt. »Ich hatte dir doch gesagt, es war eine Belohnung, die mir schon lange versprochen war.«
    »Ja, aber du hast nicht gesagt, wofür.«
    »Für meine Arbeit, wofür sonst? Hauptsache ist, ich habe Urlaub bekommen.«
    »Aber ich möchte wissen, wofür.«
    »Wofür, wofür! Verdammt noch mal, ich reise durch halb Frankreich, nur für dich, gebe dabei ein Vermögen aus, und du stellst mir solche unsinnigen Fragen.«
    »Sag mir bitte die Wahrheit.«
    »Die Wahrheit, die Wahrheit! Wozu musst du die wissen? Ist das ein Verhör? Was geht dich die Wahrheit an! Das ist Berufsgeheimnis!«
    »Bitte, Antoine.«
    »Nein!«, rief er. »Ich denke nicht daran! Nicht im Traum! Ist das dein Dank? Nach allem, was ich für dich getan habe?«
    »Ich bin dir wirklich sehr dankbar dafür, aber …«
    »Aber, aber, aber! Immer sagst du aber! Hast du vergessen, dass du eine Frau bist? Tu deine Arbeit und halt den Mund! Was kann ich dafür, dass alles verbrannt ist? Ach was, gib lieber die Pantoffeln her!«
    Wütend riss er ihr die Hausschuhe aus der Hand. Sophie biss sich auf die Lippen. So hatte er sich noch nie benommen. Sie hatte keinen Zweifel mehr, warum er so aufgebracht war.
    »Die Wahrheit«, wiederholte sie fest. »Hast du dafür gesorgt, dass Diderot verhaftet wurde?«
    »Woher weißt du von der Verhaftung?«
    »Aus dem ›Procope‹. Da war von nichts anderem die Rede.«
    »So? Ja? Tatsächlich?«

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