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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Madeleine Volland, gebürtig und wohnhaft imKirchspiel Beaulieu, wird beschuldigt, gegen den Glauben und den gemeinen Nutzen des Staatswesens gehandelt zu haben, indem sie die schwarze Kunst an ihrer Tochter Sophie ausgeübt und diese durch Verabreichung eines magischen giftigen Tranks veranlasst hat, am Tage ihrer ersten heiligen Kommunion den Leib des Herrn zu erbrechen, in Gegenwart des amtierenden Pfarrers sowie der versammelten Gemeinde.«
    Welche Tat hatte man Madeleine Volland zur Last gelegt? Hexerei oder Giftmischerei? Die Befragung der Angeklagten war so widersprüchlich wie die Anklage selbst.
    »Warum hast du deiner Tochter Sophie den Trank vor der heiligen Kommunion verabreicht? Enthielt der Trank außer Kräutern auch Blut oder Gekröse toter Tiere? Warum und wozu brachtest du ihr das Lesen bei?«
    Sartine stutzte: Von ihrer Mutter hatte Sophie also Lesen und Schreiben gelernt? Warum hatte sie ihre Kenntnisse so lange vor ihm verborgen? Weil sie mit Madeleines Tod verknüpft waren? Die Fragen des Gerichts nach dem Verhältnis der Angeklagten zu Sophies Vater schienen seine Vermutung zu bestätigen.
    »Hat der Hausierer Dorval dich außer im Lesen und Schreiben auch in der schwarzen Magie unterwiesen? Mit welchen Körperteilen hat er dir deine Jungfräulichkeit geraubt? Wolltest du deine Tochter töten, um ungestört deiner Wollust zu frönen?«
    Drei Tage, so ging aus den Akten hervor, hatte das Verhör gedauert, dann waren weitere Zeugen befragt worden, Nachbarn und Mitglieder der Gemeinde, um Widersprüche in den Aussagen der Angeklagten aufzulösen. Das Gericht hatte Ärzte und Theologen zu Rate gezogen, ein Viehdoktor hattevon der außerordentlichen Wirkungskraft mancher Kräutertränke und Salben berichtet, und Abbé Morel hatte zu Protokoll gegeben, dass die Näherin Volland seiner Einschätzung nach zwar eine gefährliche Aufrührerin sei, doch keine wirkliche Hexe – schließlich habe sie die Hostie, die er ihr gespendet habe, bei sich behalten, im Gegensatz zu ihrer Tochter Sophie.
    Je länger Sartine in den alten Akten las, desto mehr wuchs seine Empörung. Welcher Abgrund von Unwissen und Aberglaube tat sich vor ihm auf! Es war erst zehn Jahre her, dass der Fall Madeleine Volland verhandelt worden war, doch das Gericht hatte den Prozess geführt wie zur Zeit der Inquisition. Beinahe schämte Sartine sich für seinen Staat, der mit veralteten Gesetzen ein solches Verfahren ermöglicht hatte.
    Doch moralische Betrachtungen waren jetzt nicht seine Aufgabe. Er hatte Sophie versprochen, ihr Antwort auf eine ganz bestimmte Frage zu geben: Wer war der Mann mit dem Federhut?
    Mit dem sicheren Blick, den er in Ausübung seines Berufs erworben hatte, prüfte Sartine Seite um Seite. Dann endlich – draußen begann es schon zu dämmern – stieß er auf die entscheidende Akte. Da war er, der Mann, der Sophies Mutter auf den Scheiterhaufen gebracht hatte! Er hatte das Gericht regelrecht aufgehetzt. Auf sein Betreiben hatte man den Abort der Näherin Volland durchwühlt und dort im Kot eine weißliche Masse gefunden. Dieser Fund hatte als Beweis genügt, dass die Angeklagte die ihr gespendete Hostie unverdaut ausgeschieden hatte. Stand sie also mit dem Teufel im Bunde?
    »Außerdem«, war in der Aussage des Zeugen zu lesen, »hat sie das schlimmste Verbrechen an mir begangen, das eineFrau einem Mann zufügen kann. Sie hat mir einen gallig bitteren Trank eingeflößt und in meiner Gegenwart mit Nesteln einen Knoten geschürzt, wobei sie leise einen Knüpfspruch hersagte, beides zu ein und demselben Zweck …«
    Sartine befeuchtete mit der Zunge die Fingerspitze, um die nächste Seite aufzuschlagen.
    »… nämlich, um mich zur Zeugung unfähig zu machen. Dieses ist ihr für den Zeitraum mehrerer Tage mit Hilfe des Teufels gelungen.«
    Sartine ließ die Akte sinken. Wenn er noch einen Zweifel am Motiv des Zeugen gehabt hatte, so war der jetzt ausgeräumt. Mit vor Erregung zitternden Händen blätterte er weiter, bis ans Ende der Akte, wo der Schreiber die Identität des jungen Mannes, der vor Gericht offenbar keine Angaben zu seiner Person hatte machen müssen, für das Protokoll festgehalten hatte.
    Als Antoine Sartine den Namen las, erstarrte er. Es war, als würden sich zwei Hände um seine Kehle schließen, um ihm die Luft abzudrücken.

15
     
    »Sollen die Untertanen den Staat lieben oder fürchten?«, fragte Madame de Pompadour ihre zwei Ratgeber, von denen sie sich ebenso kontroverse wie anregende

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