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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Auskunft erhoffte.
    »Was mich betrifft, so plädiere ich für die Liebe«, sagte Malesherbes. »Die Liebe macht bekanntlich blind, das erleichtert der Regierung die Arbeit.«
    »Mag sein«, erwiderte Pater Radominsky, »doch was geschieht, wenn die Menschen aus ihrer Verblendung erwachen? Nein, ich plädiere für die Furcht. Sie allein hält die Menschen in Zucht. Sie stählt die Seelen wie die Kälte das Eisen.«
    »Da pflichte ich Ihnen bei,
mon père.«
Die Pompadour nickte. »Aber kann Furcht nicht in Hass umschlagen? Und erwächst daraus nicht eine ganz neue, viel größere Gefahr? Die Gefahr einer Revolution?«
    »Ich habe den Eindruck, Madame«, sagte Malesherbes mit einem Lächeln, »Sie fragen nicht ohne Hintergedanken. Gibt es einen Anlass für Ihre Sorge?«
    »Wie gut Sie mich doch kennen! In der Tat, heute Morgen erhielt ich diesen Brief.« Sie nahm ein Kuvert, das auf ihrer Frisierkommode lag, und öffnete es. »Von Monsieur Diderot, an den Polizeipräfekten von Paris sowie an den Kanzler des Königs. Sind die Herren interessiert?« Als ihre Gäste mit einer Verbeugung bejahten, reichte sie den Brief Radominsky. »Wenn Sie vielleicht so freundlich sein würden?«
    Der Pater faltete das Blatt auf, und mit fester, klarer Stimme trug er den Inhalt vor:
    Ein Ehrenmann, der das Unglück hatte, sich die Ungnade des Ministeriums zuzuziehen, fleht Sie um Milde und Beistand an. Von der Festung Vincennes aus, in der man ihn festhält und wo er im Begriff steht, seinen körperlichen Schmerzen und seelischen Qualen zu erliegen, wirft er sich Ihnen zu Füßen und bittet Sie um seine Freiheit.
    Ich habe erlitten, was ein Mensch erleiden kann; ich bin erschöpft, niedergeschlagen, von Kummer verzehrt. Dennoch will ich Ihnen gestehen, dass ich tausendmal lieber hier sterben würde, als diesen Ort in Ihren, in meinen, in den Augen aller ehrbaren Menschen entehrtzu verlassen. Auch vermag ich nicht daran zu glauben, dass Sie mich genug verachten, um diesen Versuch mit mir anzustellen.
Aber
Sie wollen zufrieden gestellt sein, und dies soll geschehen.
    Ihnen als meinen würdigen Beschützern gestehe ich also, was meinem Richter zu gestehen weder ein langer Gefängnisaufenthalt noch alle erdenklichen Leiden je über mich vermocht hätten: dass die
Geschwätzigen Kleinode
sowie der
Brief über die Blinden
geistige Vermessenheiten darstellen, die meiner Feder entschlüpft sind.
Aber
ich kann Ihnen auf Ehre versichern (und ich besitze welche), dass es die Letzten sein werden und dass es die Einzigen sind.
    Was diejenigen betrifft, die an der Verbreitung dieser Werke beteiligt waren, so soll Ihnen nichts verborgen bleiben. Ich werde Ihnen mündlich ihre Namen mitteilen. Darüber hinaus will ich mich, sofern Sie es verlangen, verpflichten, diesen Leuten mitzuteilen, dass Ihnen ihre Namen bekannt sind, auf dass sie sich künftig ebenso wohl verhalten, wie ich es zu tun entschlossen bin
.
    Ich bitte Sie darum inständig, sich meiner anzunehmen und mir das Leben zu retten, indem Sie mir die Freiheit wiedergeben. Ich verspreche Ihnen, von beidem einen Gebrauch zu machen, der vergangene Fehler gutmacht, indem ich das
Universalwörterbuch der Wissenschaften und Künste
fertig stelle, zu dessen Herausgebern ich zähle, an welchem ich seit vollen drei Jahren arbeite und für das ich mich in Unkosten gestürzt und unendliche Mühen auf mich genommen habe.
    Radominksy ließ den Brief sinken.
    »Was kann diesen Diderot nur bewogen haben, so etwas zu schreiben?«, fragte Madame de Pompadour.
    »Gewiss nicht die Liebe zum Staat«, erklärte Malesherbes.
    »Eher die Furcht vor einem aufgebrachten Eheweib.«
    »Sind Sie der gleichen Meinung,
mon père?«
    Radominsky schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht«, erwiderteer. »Ich glaube vielmehr, dass sehr wohl die Liebe dem Verfasser dieses Briefes die Feder führte.«
    »Wie bitte?«, fragte Malesherbes mit erhobenen Brauen. »Ich muss gestehen, Sie überraschen mich, Monsignore. Welche Art Liebe sollte das sein?«
    »Eine Art Liebe, die Ihnen vermutlich fremd ist, Monsieur – die Liebe zum Werk.«
    »Und dafür wirft er sich in den Staub? Das scheint mir wenig überzeugend. Wie kann er sein Werk lieben, wenn er so wenig Selbstliebe zeigt?«
    »Ich habe mit diesem Mann gesprochen, ich kenne ihn«, beharrte Radominsky. »Der Brief ist eine weiße Taube, ein Friedenssignal, um uns in Sicherheit zu wiegen.« Sein Ton wurde hart, fast verbittert. »Diderot hat diesen Brief geschrieben, um seine

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