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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Enzyklopädie zu retten. Lieber verrät er sich selbst als sein Werk.«
    Die Marquise de Pompadour kannte diesen Ton: So sprachen enttäuschte Liebhaber von den Frauen, die ihre Liebe verschmäht hatten.
    »Wie lautet Ihre Entscheidung?«, fragte Malesherbes. »Was soll mit Diderot geschehen?«
    »Welche Möglichkeiten habe ich?«
    »Jede, die Ihnen gefällt, Madame.«
    »Richtig«, bestätigte Radominsky. »Das Urteil liegt in Ihrem Ermessen.«
    »Ob Sie Diderot die Freiheit schenken …«
    »… oder ihn hinrichten lassen.«
    Die Marquise runzelte die Stirn.
    »Ist das die Alternative?«
    Beide nickten, der eine mit einer angedeuteten Verbeugung, der andere ohne jede Regung im Gesicht. Prüfend sah sie diezwei unterschiedlichen Männer an. Radominsky war der einzige Abbé am Hofe, der keine Perücke trug, und statt mit einer seidenen Soutane kleidete er sich wie ein gewöhnlicher Landpfarrer, obwohl er der Beichtvater der Königin war – das vollkommene Gegenteil Malesherbes’, der mit feinem Lächeln, hinter dem er wie stets seine Empfindungen verbarg, gerade eine Prise aus seiner perlmutternen Schnupftabaksdose nahm.
    »Sie meinen, Diderot liebt sein Werk mehr als sich selbst?«, fragte sie schließlich. »Nun, dann wird es am klügsten sein, dieses an seiner Stelle zu bestrafen. Vielleicht wird das dem Herrn eine Lehre sein.«

16
     
    Sophie tunkte den Holzlöffel in die Sauce, um noch einmal abzuschmecken. Vielleicht ein bisschen mehr Portwein? Außerdem fehlte Rosmarin, und ein zusätzlicher Löffel Honig und Quittenmarmelade konnte auch nicht schaden.
    Seit zwei Stunden schmorte die Ente auf dem Herd. Goldbraun brutzelte sie in der Kasserolle, und der süße, schwere Duft füllte die ganze Wohnung. Sophie hatte den Braten von ihrem Notgroschen gekauft, den geheimen Ersparnissen, die sie in ihrer Geldkatze unter der Matratze aufbewahrte und von denen nicht einmal ihr Mann wusste. Sie wollte Sartine bei der Rückkehr von seiner Reise mit einem so üppigen Festmahl überraschen, wie er noch nie eines genossen hatte, zubereitet mit sündhaft teuren Zutaten.
    Einen solchen Empfang hatte Sartine sich redlich verdient.
    Welcher Mann sonst hätte den ersten Urlaub, den er in seinem Leben bekam, für seine Frau geopfert? Lange Jahre hatte Sophie versucht, die Vergangenheit zu vergessen wie einen bösen Traum, den man beim Aufwachen nicht mehr wahrhaben will. Erst jetzt, da die Aufklärung des Rätsels nahe war, spürte sie, dass sie sich die ganze Zeit über Gewalt angetan hatte. Wie konnte sie leben, wenn sie nicht wusste, warum ihre Mutter hatte sterben müssen? Wie konnte sie glücklich sein, wenn der Mann, der Madeleine auf dem Gewissen hatte, in Freiheit war? Wenn Sartine den Namen herausgefunden hatte, würde sie diesen Mann suchen, und wer weiß, vielleicht konnte sie sogar dafür sorgen, dass ihrer Mutter doch noch Gerechtigkeit widerfuhr, wenigstens nach ihrem Tod. Innerlich bat Sophie ihren Mann um Vergebung für die dunklen Sehnsüchte, die sie manchmal überfielen, wenn sie des Nachts schlaflos an seiner Seite lag. Den Fahrplänen nach sollte seine Postkutsche noch vor dem Abend in Paris eintreffen. Hoffentlich hatte ihn der Nebel, der seit ein paar Tagen in immer dichteren Schwaden vom Fluss aufstieg, nicht auf der Reise behindert.
    Im Treppenhaus hörte sie Schritte. Sollte er das schon sein? Eilig band Sophie sich die Schürze ab, um nachzuschauen. Als sie die Tür öffnete, machte ihr Herz vor Freude einen Sprung: Vor ihr stand Sartine. Mit einem Lächeln reichte er ihr eine Schachtel aus rotem Karton.
    »Das ist für dich. Ein Geschenk aus deiner Heimat.«
    »Aus Beaulieu? Für mich?« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Aber komm, du musst ja ganz erschöpft sein von der Reise!«
    Sie nahm seine Hand und führte ihn zu seinem Lieblingsplatz, dem Lehnstuhl.
    »Wie das duftet«, sagte er und schnupperte in der Luft. »Und der Tisch! Du hast ja wie an einem Feiertag gedeckt. Nein, lass nur!«, wehrte er ab, als sie sich hinkniete, um ihm die Stiefel auszuziehen. »Willst du nicht lieber dein Geschenk aufmachen?«
    Sie nahm das Päckchen und öffnete die Schleife. Als sie den Inhalt erblickte, stutzte sie: eine feingliedrige Silberkette mit einem kleinen geschnitzten Engel aus hellem, glatt poliertem Material, der sie an einen Totenkopf erinnerte.
    »Was … was ist das?«, fragte sie irritiert. »Elfenbein?«
    »Ich dachte, du würdest es kennen. Ein Glücksbringer, sagen die Leute in Beaulieu.

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