Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
damals, als Wolfsmenschen und Frauen aus Rauch noch ganz alltäglich waren. Auf ihnen basierten die Legenden, die man heute fast ausschließlich auf den Kinoleinwänden zu sehen bekam. Es sei denn, man war ich . Dann kamen sie zu einem in die Wohnung.
Die Finger fest um den Griff des Messers geschlossen, wartete ich regungslos auf das leichte Summen, das dem Auftauchen einer bösartigen, unheimlichen Kreatur vorausging. Doch es kam nicht.
Ich saß mit zusammengekniffenen Augen und gespitzten Ohren auf dem Rand der Matratze, dann atmete ich tief ein und ein Kribbeln lief mir über die Haut. Das Bett roch nach Sawyer – nach Schnee in den Bergen, nach Blättern im Wind, nach Feuer, Rauch und Hitze.
»Von wegen Traum«, murmelte ich.
Unten vor dem Haus hörte ich ein dumpfes Geräusch, dann ein Kratzen von etwas Festem auf dem Gehweg. War das ein Schuh? Ein Fuß? Eine Klaue?
Als ich das Zimmer durchquerte, hätte ich schwören können, dass etwas Pelziges mein Bein streifte. Ich blickte nach unten, sah aber nur den Stoff meiner weiten Baumwollshorts, die ich zusammen mit dem abgetragenen und verwaschenen Milwaukee-Brewers-T-Shirt als Schlafanzug trug.
Ich hörte ein merkwürdiges Heulen und ging zum Fenster, wo ich mich so hinstellte, dass man mich von außen nicht sehen konnte. Es war Neumond und der Himmel dunkel. Hier, in der Nähe der Stadt, spendeten auch die Sterne nur wenig Licht. Die einzige Straßenlaterne in Friedenberg beleuchtete nichts als leere Bürgersteige und dunkle Schaufenster. Das hatte gar nichts zu bedeuten. Nephilim benutzten nur selten die Vordertür. Das hatten sie gar nicht nötig.
Mit einem mulmigen Gefühl sah ich nach oben, aber auch auf den Dächern waren nur Schatten zu erkennen. Diese Schatten konnten jedoch alles Mögliche bedeuten.
»Psst. Junge.«
Ich trat gegen das Kinderbett, das in einer Ecke an die Wand gedrängt stand. Meine Wohnung war ein kleines Apartment direkt über einem Nippesladen. Das Haus gehörte mir, ich hatte das Erdgeschoss vermietet und auch schon mit dem Gedanken gespielt, den ersten Stock ebenfalls zu vermieten. Zurzeit war ich nämlich kaum in der Stadt. Und auch jetzt war ich nur hier, weil ich meiner besten Freundin versprochen hatte, zum neunten Geburtstag ihrer Tochter zu kommen. Ich schuldete Megan so viel, da war es das Mindeste, wenigstens ein Mal da zu sein, wenn sie mich darum bat.
»Luther!« Wieder stieß ich gegen das Kinderbett. Ich wollte ihn nicht berühren, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Meine übersinnlichen Kräfte hatte ich schon von Geburt an, so vermute ich. Jedenfalls kann ich mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht anhand einer einzigen Berührung hatte sehen können, wo Menschen gewesen waren und was sie getan hatten. Bei Nephilim konnte ich erkennen, was sie in Wirklichkeit waren. Oder jedenfalls hatte ich das bis vor kurzer Zeit noch gekonnt. Jetzt hatte ich dafür ja Luther.
»Wa…? Häh?« Luther rieb sich seine glatte braune Gesichtshaut. Das wirre goldbraune Haar stand ihm noch wilder vom Kopf ab als sonst.
»Empfängst du eigentlich irgendwelche Bösewichter-Schwingungen?«, fragte ich.
Der Junge war sofort hellwach. Respekt. »Nein«, sagte er langsam, mit schief gelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen.
»Du hast ja einen ziemlich tiefen Schlaf.« Das hatten alle Kinder, soweit ich wusste – auch wenn Luther darauf bestand, dass er kein Kind mehr war, sondern ein Mann.
Er behauptete steif und fest, achtzehn Jahre alt zu sein, aber ich hatte da so meine Zweifel. Er war groß und schlaksig, seine Hände und Füße wirkten riesig. Viele Nephilim hatten sich von seiner ungelenken Erscheinung täuschen lassen und ihn für langsam und tollpatschig gehalten. Dabei bewegte sich Luther so schnell und geschmeidig wie der Löwe, in den er sich verwandeln konnte.
Der Junge war nämlich eine Kreuzung – Nachkomme eines Nephilim und eines Menschen. Weil er zum Teil Dämon war, hatte er übernatürliche Kräfte. Da er aber zum größeren Teil Mensch war, hatte er sich dafür entscheiden können, auf der Seite des Guten zu kämpfen. Viele Kreuzungen taten das.
»Ich würde es hören, wenn Ruthie versucht, mir etwas zu sagen. Egal ob ich schlafe oder nicht.«
Ruthie Kane, meine Pflegemutter, war früher mal die Anführerin des Lichts gewesen. Jetzt war ich das. Anfangs hatte sie im Wind, in meinen Träumen oder Visionen zu mir gesprochen, um mir mitzuteilen, welche Spielart des Bösen sich hinter dem
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