Die Pilgergraefin
in dunkler Umnachtung ihr Dasein in einem Kloster.
Leonor hatte sie zweimal in dem Konvent besucht, doch ihre Mutter hatte sie nicht erkannt. Das schmerzte sie, obwohl sie ihr nie wirklich nahegestanden hatte. Das Hauptaugenmerk Odile de Guiémars hatte stets ihrem Gemahl gegolten. In ihrer Jugend war sie, so hatte Leonor gehört, von außerordentlichem Liebreiz gewesen, und selbst mit ihren zweiundvierzig Jahren war sie noch immer eine schöne Frau. Jedermann hatte damals erwartet, dass die bezaubernde Herzogstochter sich zumindest mit einem Prinzen königlichen Geblüts vermählen würde. Doch Odile hatte ihren Kopf durchgesetzt und den im Rang unter ihr stehenden, aber überaus gut aussehenden und wohlhabenden Vicomte de Guiémar geehelicht. Dessen Reichtum hatte es ihr erlaubt, die Innenräume der Burg immer wieder neu zu gestalten. Das Auswählen von Stoffen und Einrichtungsgegenständen beanspruchte beinahe die ganze Zeit, die sie neben ihren Pflichten als Châtelaine noch zur Verfügung hatte. Auch vermochte sie aufs Vortrefflichste zu sticken, eine Tätigkeit, die Cathérine gefiel, der Leonor jedoch entfloh, wann immer es möglich war. Stattdessen hatte sie sich lieber, sooft es ging, in das Zimmer geschlichen, in dem ihr Bruder unterrichtet wurde.
Ihren überlebenden Kindern, drei waren gleich nach der Geburt gestorben, hatte Odile de Guiémar zwar Zuneigung entgegengebracht, sie jedoch meist der Obhut ihrer Kinderfrauen überlassen. So betrachtete Leonor ihre Kammermagd Anna, die sie seit ihrer Geburt betreute, sogar mehr als ihre Mutter denn die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte.
Und zu ihrem Bruder Robert, dem nunmehrigen Vicomte de Guiémar, dem sie in Kinderzeiten eng verbunden gewesen war, konnte sie ebenfalls nicht gehen. Denn seine Gemahlin Malwine, die Cathérine als „Weibsteufel“ bezeichnete, war trotz ihrer Jugend eine hartherzige, böse Frau, die ihrem Gatten niemals erlauben würde, sie aufzunehmen. Weshalb hatte ihr liebenswerter, gutmütiger Bruder wohl diese Frau geheiratet? Gewiss, sie war schön und hatte eine reiche Mitgift mitgebracht. Aber sie keifte oftmals wie ein Waschweib und behandelte das Gesinde schlecht. Und sogar ihren Gatten hatte sie bereits mehrmals in aller Öffentlichkeit heruntergeputzt. Der schien ihr jedoch nichts entgegenzusetzen zu können. Besaß sie vielleicht geheime Macht in der Schlafkammer über ihn?
Blieben noch die von Tannecks, Cathérines Schwiegereltern. Doch auch bei ihnen konnte sie nicht auf Aufnahme hoffen, das wusste Leonor, denn Zenobia von Tanneck hatte eine Abneigung gegen sie entwickelt und hielt sie für überheblich und besserwisserisch, seitdem sie ihr bei der Hochzeitsfeier ihrer Schwester einen Ratschlag bezüglich eines Pilzgerichtes, das ihr nicht mehr ganz frisch erschienen war, gegeben hatte. Dabei war es ihr gar nicht um die Schmackhaftigkeit der Speise gegangen, sondern um das Wohlbefinden der Gäste. Tatsächlich hatten sich einige von ihnen nach dem Mahl übergeben müssen, doch zum Glück war nichts Schlimmeres passiert.
Nein, so gern Cathérine sie gewiss aufgenommen hätte, so sehr war die Schwester nach dem Tod ihres Mannes auf das Wohlwollen der Schwiegereltern angewiesen und hatte in deren Haushalt nichts zu sagen. Allerdings hatte Zenobia die junge, stille und fügsame Witwe ihres Sohnes ins Herz geschlossen, sodass Leonor beruhigt sein konnte, ihr werde es bei den von Tannecks gut gehen. Was für ein Glück, dass Heinrichs Eltern nicht an dem verhängnisvollen Gastmahl teilgenommen hatten, sondern auf ihrer Burg geblieben waren, denn wären sie wie ihr Sohn der Seuche zum Opfer gefallen, hätten Cathérine und ihr Kind kein Heim mehr gehabt.
Ein Klopfen an der Tür riss Leonor aus ihren Gedanken. Doch bevor sie „Herein“ sagen konnte, war Lothar ihr bereits zuvorgekommen.
Anna trat ein, gefolgt von einer Magd. Auf einem Servierbrett waren ein Stück Räucherschinken, goldgelber Käse, Blut- und Leberwurst sowie frisch gebackenes Brot angerichtet.
In Vorfreude auf das deftige Mahl leckte sich Pater Ferfried über die wulstigen Lippen.
Die Magd brachte Humpen mit selbst gebrautem Bier und bot ihrer Herrin einen Pokal mit Wein an, den Leonor indes ablehnte. Nachdem sie gefragt hatte, ob die Gräfin noch weitere Wünsche habe, verließ sie zusammen mit Anna wieder das Gemach.
Während die Herren sich an dem Imbiss gütlich taten und dabei genüsslich schmatzten, wanderten Leonors Gedanken erneut in die
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