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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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seitdem sich sein Schildknecht als Frau herausgestellt hatte, noch dazu als eine, die er begehrte und die sein Blut in Wallung brachte, war er sich nicht mehr sicher, ob er der Versuchung widerstehen konnte.
    Und was empfindet sie für mich? Nur Dankbarkeit, weil ich sie aus dem Abgrund gerettet habe? Oder fühlt sie sich genauso zu mir hingezogen wie ich mich zu ihr?
    Verwirrt fragte er sich, wann eigentlich diese Sehnsucht nach ihr in ihm erwacht war. Plötzlich schmeckten ihm die letzten Bissen des köstlichen Bratens wie Sägemehl, und die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
    Auch Leonor hatte nur in ihrem Essen herumgestochert. Der Gedanke, alsbald mit dem gut aussehenden Ritter die Kammer – und vielleicht sogar die Bettstatt – zu teilen, trieb ihr die Schamröte ins Gesicht und verursachte ihr Gewissensbisse.
    Wo sie doch eine Witwe war und erst vor wenigen Wochen Mann und Kind verloren hatte. War es da statthaft, solche Gefühle der Sehnsucht zu verspüren? Andererseits: Sie war ja noch so jung, gerade einmal neunzehn Jahre alt, durfte sie da nicht mehr auf ein neues Glück hoffen? Hatte der Mensch überhaupt Anspruch auf irdisches Glück? Die Geistlichen schienen das nicht so zu sehen. Sie sprachen fast ausschließlich von der Sündhaftigkeit der Menschen und dass diese versuchen sollten, durch Buße und Kasteiungen ihre Missetaten zu überwinden, um in den Augen Gottes Wohlgefallen zu finden …
    Oder stand ihr die Liebe nicht zu, weil sie Schuld auf sich geladen hatte? Aber was, wenn der Chevalier mit seinen Vermutungen, dass es gar keine vom Himmel als Strafe geschickte Seuche gewesen war, recht hatte? Trug sie dann vielleicht gar keine Schuld …? Der Kopf schmerzte ihr vom angestrengten Nachdenken. Indes, was machte sie sich auch solche Gedanken? Schließlich wusste sie nicht einmal, was der französische Ritter für sie empfand. Empfand er überhaupt etwas für sie? Bisher gab es keinerlei Anzeichen dafür.
    Genau wie Robyn fragte auch sie sich, wann ihre Gefühle für ihn erwacht waren. Ging das nicht alles viel zu schnell? Konnte man denn tief für einen Mann empfinden, den man kaum kannte?
    Ein Geräusch riss Leonor aus ihren Gedanken. Robyn hatte sein Messer mit einem lauten Knall auf das Essbrett geworfen.
    „Ich gehe in den Stall“, verkündete er, als er sich erhob. „Ich glaube, Adomar hat sich etwas in den Huf getreten. Außerdem muss ich das Zaumzeug noch nachpolieren. Da bist du recht nachlässig gewesen, … Leon.“
    Leonor hatte nicht bemerkt, dass der Hengst lahmte. Und im Hinblick auf den Vorwurf, sie hätte ihre Pflichten unzulänglich erfüllt, wäre sie beinahe aufgebraust. Wütend blitzte sie Robyn an und hatte schon eine heftige Erwiderung auf der Zunge, da fiel ihr ein, dass Trouville recht hatte, denn in der Tat hatte sie das Zaumzeug nur sehr nachlässig geputzt, abgelenkt von ihren verwirrenden Gefühlen für den Ritter. Und so schluckte sie ihre Widerworte im letzten Moment hinunter, zumal sie nur zu gut wusste, dass auch ihr Vater oder Konrad ihren Schildknecht ob einer solcher Nachlässigkeit streng getadelt hätten.
    Oder war das Verhalten des Chevaliers nur ein Vorwand, weil er nach einer Möglichkeit suchte, nicht die Nacht mit ihr in einer Kammer verbringen zu müssen? Zu dumm, dass die Herberge voll belegt war.
    „Kann sein, dass ich im Stall schlafe“, sagte Robyn knapp und verließ die Gaststube.
    Leonor seufzte. Ob aus Enttäuschung oder Erleichterung, vermochte sie nicht zu sagen.
    Nun bestand absolut kein Zweifel mehr: Sein schärfster Widersacher war tot!
    Erleichtert hob Lothar den Pokal an die Lippen, prostete sich selbst zu und trank einen großen Schluck von dem starken Würzwein. Endlich war das Scheusal dort, wo es hingehörte: in der Hölle!
    Niemals mehr wird er mein „kleines Geheimnis“ ausplaudern, niemals mehr mich erpressen können, dachte er zufrieden und leerte den Pokal. Es war bereits der dritte, mit dem er an diesem Nachmittag den Tod seines Feindes feierte.
    Und auch für Gisela bestand keine Gefahr mehr!
    Wenn er auch niemanden auf der Welt außer sich selbst liebte, so war er doch seiner jungen Schwester sehr zugetan. Die Vorstellung, sie hätte die Gemahlin des grausamen Barons werden müssen – und er wusste besser als jeder andere, wozu dieser fähig war –, hatte ihn stets mit Entsetzen erfüllt.
    Der Tod seines Halbbruders Konrad, auf den er schon als Junge neidisch gewesen war, hatte ihn hingegen weder mit Entsetzen noch mit

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