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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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es vorzog, die Nacht bei den Pferden zu verbringen? War es ein geschickter Schachzug von ihm, der Versuchung zu entkommen? Oder war es ihm lieber, im Stall zu schlafen als an ihrer Seite?
    Wie gerädert erhob sich Leonor von der Bettstatt, wusch sich mit dem kalten Wasser, das sie in einer Zinnschüssel vorfand, und kleidete sich in das Unterhemd und in die Tunika, die der Marchese zerfetzt hatte. Beides hatte sie im See gewaschen und danach mit feinen Stichen wieder zusammengenäht, denn zum Glück hatte der für alle Eventualitäten gerüstete Chevalier in seinen Satteltaschen auch Nadel und Faden gehabt.
    Zögernd verließ sie die Kammer, schritt die Holzstiege hinunter und begab sich in den Gastraum, wo sie Trouville bei der Morgensuppe vorfand. Im Gegensatz zu ihr wirkte er frisch und ausgeruht. Anscheinend war er nicht von den gleichen Zweifeln und Gedanken geplagt worden wie sie, woraus sie schloss, dass er keinerlei Verlangen nach ihr hatte.
    „Ah, Leon, mein guter Knappe“, begrüßte Robyn sie aufgeräumt. „Gleich werde ich zum Hafen gehen und nach einem passenden Schiff für uns Ausschau halten.“ Er aß einen Löffel Hafergrütze und fuhr fort: „So etwas wie eine Kogge wäre nicht schlecht. Diese Schiffe der Hanse, die gelegentlich auch im Mittelmeer Handel treibt, bieten ausreichend Platz und werden uns in wenigen Tagen an unser Ziel bringen.“ Ein weiterer Löffel Grütze folgte. „Komm, setz dich, Leon, und stärke dich. Wer weiß, ob dir das Essen auf See bekommen wird.“
    Leonor ließ sich auf der Sitzbank nieder und starrte auf die irdene Schale mit der Morgensuppe. Wie konnte der Chevalier nur so beiläufig und unbekümmert wirken? War sie für ihn wirklich nichts anderes als irgendein Weib, das zudem Männerkleidung trug? Zwar hatte sie mitunter geglaubt, in seinen Augen etwas anderes lesen zu können, schien sich aber getäuscht zu haben. Doch durfte sie sich ihm in diesem Fall dann weiterhin aufbürden und ihn womöglich bei seiner wichtigen Mission behindern?
    Ohne zu wissen, was sie tat, griff Leonor nach einem Stück Brot und zerkrümelte es.
    „Du solltest das Brot essen, Leon“, ermahnte Robyn sie. „Wer weiß, wann du wieder so schönes frisches Brot vorgesetzt bekommen wirst. An Bord gewiss nicht. Die Speisen dort sind grauenhaft.“ Er bemühte sich um einen lockeren, ungezwungenen Ton, damit Leonor nicht merkte, wie es um ihn stand. Bewusst mied er ihren Blick. Denn wenn er ihr in die Augen sähe, wäre es endgültig um ihn geschehen. Und das durfte er nicht zulassen!
    Hochzufrieden kehrte Robyn von seinem Ausflug zum Hafen von Genua zurück. Schon morgen würde eine Kogge unter dem erfahrenen Kapitän Hanns von Wismar in Richtung Ostia auslaufen. Nur noch wenige Tage, dann wäre er in Rom, könnte Stefano Colonna das Sendschreiben des Herzogs von Mailand überreichen und hätte seine Mission erfüllt. Danach würde er nach Frankreich heimkehren, und wenn es Charles V. gefiele, würde er ihn, wie er es bereits mehrmals angedeutet hatte, für seine Dienste großzügig belohnen. Doch obwohl der König gemeinhin als ein gerechter und weiser Herrscher galt, wusste man bei Monarchen nie, welchen Launen sie gerade unterworfen waren. Die eine oder andere unerfreuliche Erfahrung in dieser Richtung hatte Robyn bereits machen müssen, wenn auch nicht mit Charles V., sondern mit dem Kardinalprimas, der mitunter etwas „vergesslich“ war, was seine Versprechungen bezüglich Auszeichnungen betraf.
    Die Aussichten auf das Ende der langen Fahrt und die Belohnung, die ihn – hoffentlich – in der Heimat erwartete, ließen ihn fröhlich pfeifen, doch seine gute Laune schwand sofort, als er die Kammer des Albergo betrat. Leon – Leonor – war nicht da, und auch ihre wenigen Habseligkeiten fehlten.
    Seltsam, dachte Robyn. Doch dann fiel ihm ein, dass sie sich vielleicht in den Stallungen befinden könnte, um dort nach den Pferden und Tarras zu sehen. Oder sie war zum Markt gelaufen, um frische Früchte für die Seereise zu kaufen. Aber warum hatte sie dann ihr Bündel geschnürt und mitgenommen? Darauf konnte er sich keinen Reim machen. Er beschloss, zunächst im Stall nachzusehen.
    Die Pferde standen in ihrem Unterstand, und jemand hatte ihnen Hafersäckchen vors Maul gebunden. Gewiss Leonor, doch es war keine Spur von ihr zu sehen – ebenso wenig wie von Tarras. Er sprach den Knecht an, der gerade eine Fuhre Heu auf einem Karren hinausschaffte, aber der Junge glotzte ihn nur

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