Die Pilgergraefin
dümmlich an. Entweder war er nicht ganz richtig im Kopf, oder er verstand nur den hiesigen Dialekt, den Robyn nicht beherrschte.
Kopfschüttelnd verließ er den Stall und stürmte in die Gaststube. Dort fand er die Wirtsfrau vor, die seine Frage jedoch nicht beantworten konnte und ihn an ihren Mann verwies, der in diesem Augenblick, begleitet von einer Magd, die mehrere schwere Körbe mit Esswaren schleppte, eintrat.
„Wirt, wisst Ihr etwas über den Verbleib meines Knappen?“, erkundigte sich Robyn bei dem wohlbeleibten Mann, der offensichtlich lieber bei Tische zulangte, als dabei zu helfen, die Zutaten ins Haus zu tragen.
Der Dicke fuhr sich über die schweißfeuchte Stirn.„Ähm, in der Tat, Cavaliere. Euer hübscher Knappe trug mir auf, Euch mitzuteilen, er habe einen Landsmann getroffen und beabsichtige, mit ihm in die Heimat zurückzukehren.“
Verblüfft schaute Robyn den Wirt an. Die Erklärung erschien ihm völlig unglaubwürdig. Denn Leonor hatte mehrmals betont, wie wichtig es ihr war, nach Rom zu pilgern und dort um Vergebung für ihre Schuld zu beten. Und wann und wo hätte sie auf die Schnelle diesen Landsmann denn finden sollen? Nein, hier war etwas faul!
„Ist das alles, Wirt? Sonst hat mein Schildknecht nichts gesagt?“ Robyn hätte den Fettwanst am liebsten an den Schultern gepackt und hin und her geschüttelt, doch er riss sich zusammen. „Los, heraus damit!“
Der Mann kratzte sich an seinem Doppelkinn. „Nun, er sagte noch, er bedanke sich für alles und wäre Euch gern … mehr zu Diensten gewesen.“ Der Dicke machte eine sprechende Geste und murmelte: „Wirklich außerordentlich hübsch, Euer … Knappe.“
Robyn ballte die Hände zu Fäusten, um dem schmierigen Gesellen nicht an die Gurgel zu fahren. „Seht Euch vor mit dem, was Eure faulige Zunge spricht, oder ich schneide sie Euch aus dem Hals!“, drohte er außer sich vor Wut. Auch wenn er sonst friedliche Lösungen vorzog, hätte er in diesem Fall, da es um Leonor ging, am liebsten die Fäuste sprechen lassen.
Schnell nahm der erschrockene Mann daraufhin eine devote Haltung an, verbeugte sich tief und floh in die Küche.
Robyn hingegen sank auf eine der hölzernen Sitzbänke, stützte den Kopf in beide Hände und begann fieberhaft nachzudenken.
Ohne die Schönheit des azurblauen Meeres wahrzunehmen, das sich bis zum Horizont vor ihr ausstreckte, hockte Leonor nun schon seit den frühen Morgenstunden auf einem kleinen Kieselstrand unweit des Hafens und blickte ins Leere. Geduldig saß Tarras mit hängender Zunge neben ihr.
Welcher Teufel hatte sie nur geritten, ihr Bündel zu schnüren und den Chevalier zu verlassen? Sicher, die Tage seit ihrer „Entdeckung“ waren etwas einsilbig zwischen ihnen verlaufen, und gestern, nach dem Tadel des Chevaliers, weil sie Adomars Zaumzeug zu nachlässig geputzt hatte, war sie sogar kurz versucht gewesen, es auf einen Streit mit ihm ankommen zu lassen. Doch all dies zählte nicht wirklich. Der wahre Grund für ihren Weggang war, dass sie mit ihren Gefühlen für ihn einfach nicht zurechtkam. Und noch weniger damit, dass sie anscheinend nicht mehr für ihn war als ein Schildknecht, obwohl er jetzt wusste, dass sie eine Frau war. Natürlich konnte sie es ihm nicht verübeln, wenn er nichts für sie empfand. Aber was sie keinesfalls wollte, war, ihn auf seiner Reise zu behindern. Und so hatte sie die gewiss richtige Entscheidung getroffen, sich von ihm zu trennen – auch wenn ihr mittlerweile schon die ersten Zweifel daran gekommen waren. Nun war sie also wieder auf sich allein gestellt, im Besitz von nur wenigen Münzen und mit Tarras als einzigem Gefährten.
Aber empfand Robyn denn wirklich nichts für sie? Erneut stellte sich ihr die quälende Frage. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass er ihre Weiblichkeit ignorierte und sie wie einen Knappen behandelte, während sie sich seit der Nacht, in der ihr wahres Geschlecht aufgedeckt worden war, in einem Aufruhr der Gefühle befand und sich wieder als Frau fühlte – und nicht als geschlechtslose Pilgerin oder als Mädchen in der Kleidung eines Knappen.
Nie zuvor hatte sie so leidenschaftlich empfunden. Stets hatte sie gedacht, dass innige Liebe sie und Konrad verband, und sich glücklich geschätzt, mit einem so stattlichen und freundlichen Mann vermählt worden zu sein. Ja, innige Liebe war es wohl auch gewesen, was sie einander entgegengebracht hatten und aus der ihr gemeinsames Kind hervorgegangen war. Aber
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