Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
Vom Netzwerk:
vorangegangenem Getuschel hatte schließen können. Nur kurz war sie auf den Grund für ihre Wallfahrt eingegangen, hatte indes von den Frauen der Gruppe verständnisvolle und mitleidige Blicke erhalten. Anna hatte nur wenige Worte gemurmelt und sich dann auf die Zunge gebissen, als sie, einer alter Gewohnheit gemäß, gesagt hatte, dass es natürlich selbstverständlich für sie sei, ihre liebe Herrin überallhin zu begleiten. Unter dem Tisch hatte Leonor ihr die Hand gedrückt. Dass Anna tatsächlich einen Grund haben könnte, einen Bußgang zu tun, war ihr nicht in den Sinn gekommen. Denn solange sie die Gute kannte, hatte sich diese stets aufopferungsvoll um sie gekümmert und sich nichts zuschulden kommen lassen.
    Leonor gähnte. Anscheinend war es eine gute Idee gewesen, sich die Schicksale ihrer Mitpilger zu vergegenwärtigen. Die Augen fielen ihr zu, und beinahe wäre sie eingeschlafen, da schrie Peter, der junge Ritter: „Zu den Waffen! Die Sarazenen greifen an!“
    Sogleich war Leonor wieder hellwach. Wie sollte sie nur die Strapazen des nächsten Tages überstehen, wenn sie die ganze Nacht kein Auge zutat?

6. KAPITEL
    W enn wir weiterhin so langsam vorankommen, dachte Leonor, werden wir Rom erst am St. Nimmerleinstag erreichen. An jedem Kreuz oder Schrein eines Heiligen am Wegesrand hielt die Gruppe kurz an und sprach ein Bußgebet. Schon nach zwei Tagen kannte Leonor bereits mehr als ein Dutzend Litaneien, fromme Sprüche und Fürbitten.
    Sie versuchte, nicht auf ihre schmerzenden Füße zu achten, in die sich jedes Steinchen des unebenen Weges zu bohren schien, obwohl sie statt der weichen Schuhe, die sie sonst zu tragen pflegte, eine Art Stiefel trug, die mit um Knöchel und Waden geschlungenen Bändern befestigt waren. Dieses Schuhwerk stammte, ebenso wie das einfache sackförmige Kleid, das sie trug, von Walburga. Die gute Anna hatte der Magd die Kleidungsstücke abgekauft und sie so reichlich entlohnt, dass sich diese davon leicht den Stoff für zwei neue Kittel und Unterhemden bei einem fahrenden Händler, der die Burg aufsuchte, kaufen konnte.
    Um sich abzulenken, rief Leonor sich in Erinnerung, wie Pater Anselm sie und die anderen mit einer eindringlichen Predigt auf die lange Wallfahrt eingeschworen hatte, offensichtlich erfreut darüber, dass ihre Anzahl, ihn selbst nicht mit eingerechnet, nun genau zwölf betrug – genau wie die der Apostel Jesu. Indes wurmte es sie ein wenig, dass Pater Anselm es zunächst abgelehnt hatte, sie und Anna mitzunehmen. Wahrscheinlich weil er sie, eine Gräfin, für zu verzärtelt hielt, die Strapazen zu überstehen.
    Während sie hinter den fromme Lieder singenden Pilgern hertrottete, dachte sie daran, wie sie in aller Herrgottsfrühe, noch vor dem ersten Hahnenschrei, Burg Eschenbronn durch die Geheimpforte verlassen und sich mit Anna am Fuße des Burghügels getroffen hatte. Umsichtig wie immer hatte die Gute zwei geschnürte Bündel bei sich gehabt, die alles enthielten, was für die Pilgerfahrt nötig war.
    Leonor verzog die Lippen, denn sie konnte sich kaum vorstellen, mit den wenigen bescheidenen Utensilien auszukommen, die sich in den Beuteln befanden – war sie doch als Tochter eines Edelmannes und Gemahlin eines Grafen nur das Beste gewöhnt.
    Sie geriet aus dem Tritt und stolperte.
    Sofort war Anna an ihrer Seite und umfasste fürsorglich ihren Ellenbogen. „Geht es Euch gut, liebe Herrin? Die Sonne brennt gar heiß vom Firmament.“
    Leonor nickte. In der Tat, es war sehr warm; dunkle Wolken ballten sich am Himmel zusammen und kündigten ein schweres Unwetter an. Schaudernd erinnerte sie sich an das Gewitter in Freiburg, als sie neben Cathérine gesessen und ihr während der Wehen die Hand gedrückt und die schweißnasse Stirn gekühlt hatte.
    Ach Cathérine, wie mag es dir wohl gehen? Und werde ich dich je wiedersehen?
    Immerhin, die Schwester und ihr Töchterchen hatten überlebt und bei den Schwiegereltern Unterkunft gefunden, während sie selbst einem ungewissen Schicksal entgegensah. Was würde sie in Rom erwarten? Und was geschah nach dem Ende der Pilgerfahrt?
    Wenigstens war sie den Klauen Kunos von Attenfels entkommen – wie knapp sie ihm entwischt war, ahnte sie allerdings nicht. Denn nur dem Umstand, dass Pater Anselm seine Schutzbefohlenen nicht gleich auf den Pilgerpfad, sondern zunächst zu einer abgelegenen Kapelle geführt hatte, wo ein Gnadenbild der Muttergottes hing, verdankte sie es, dem grausamen Baron nicht in die Hände

Weitere Kostenlose Bücher