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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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gefallen zu sein.
    Sie fuhr sich über die schweißfeuchte Stirn. Hoffentlich erreichten sie bald ihr Tagesziel, einen Weiler, wo sie, so hatte Pater Anselm, der die Route nicht zum ersten Mal ging, versprochen, Unterkunft bei einem Bauern finden würden, bevor das Unwetter losbrach. Ein auffrischender Wind sorgte zwar für Kühlung, ließ aber auch darauf schließen, dass der Himmel alsbald seine Schleusen öffnen würde. Bleigraue Wolken verdeckten die Sonne und ließen die vormals so liebliche Landschaft mit ihren grünen Wiesen und lichten Wäldern auf einmal düster und bedrohlich wirken.
    Der erhobene Pilgerstab Pater Anselms gebot der Gruppe innezuhalten. Sofort verstummten die Gebete, und die Wallfahrer versammelten sich um ihren Anführer.
    „Liebe Brüder und Schwestern im Herrn“, hub Anselm an. „Wie Ihr seht, naht ein Unwetter, und es scheint hier für uns keinen anderen Schutz zu geben als jenen Heuschober dort. Das Dorf, von dem ich sprach, werden wir wohl nicht mehr rechtzeitig erreichen. Folgt mir. Möge der himmlische Vater mit uns sein.“
    In ihrem Arbeitszimmer stand Hildegardis von Fronholtz an ihrem Schreibpult, vor sich das aufgeschlagene Rechnungsbuch. Wie schon so oft prüfte sie die Zahlenreihen, die Zeugnis ablegten über die Erträgnisse des Benediktinerklosters, dem sie vorstand – dem sie vorstehen musste . Durch das Buntglasfenster – ein besonderer Luxus und eine sehr teure Investition, der sie nur widerwillig zugestimmt hatte, weil sie dem Stift mehr Ansehen verlieh – strömten die Strahlen der Abendsonne in die ansonsten karg eingerichtete Kammer.
    Trotz aller Zweifel am klösterlichen Leben stellte sie einmal mehr fest, dass sie das Stift zu beachtlichem Wohlstand geführt hatte – ein Umstand, der ihr die einzige Befriedigung in ihrem verhassten Dasein verschaffte. Ein Wohlstand, der ihr die Anerkennung des Bischofs eingetragen hatte.
    Doch um welchen Preis?
    Ihr war durchaus bewusst, dass ihre Mitschwestern und auch die adligen Damen, die in ihrem Kloster Aufenthalt hatten nehmen müssen, weil sie verwitwet waren oder keinen Gatten fanden, sie für hartherzig und geldgierig hielten. Doch Mitleidlosigkeit und die Anhäufung irdischer Güter waren nicht die Triebfedern ihres Tuns. In der Tat, sie führte ein hartes Regiment. Ein Regiment, das so eisern war wie der Ring, den sie, bildlich gesprochen, um ihr Herz geschmiedet hatte, seit … Eine dicke Eisschicht hatte sich auf ihre Seele gelegt, um die heißblütigen Gefühle zu erfrieren, die sie sonst überwältigt hätten.
    Nur selten gestattete sie sich, ihren Emotionen nachzugeben, den eisernen Ring zu lockern und an die Vergangenheit zu denken – an das, was hätte sein können …
    „Ora et labora“ lautete der Wahlspruch des heiligen Benedikt von Nursia, dem Gründer des Ordens, dem auch sie angehörte – angehören musste.
    Beten und arbeiten …
    Doch wo blieb das Herz? Wo das Gefühl? Und die Liebe , wenn man eine Braut Christi war? Jedoch nicht aus freien Stücken, sondern erzwungen. Mitunter beneidete sie die Nonnen, die sich voller Seligkeit ihrem himmlischen Bräutigam geweiht hatten. Und irgendetwas – Böses? – in ihr trieb sie dann dazu, gerade diesen Schwestern besonders zuzusetzen und ihnen harte Bußgänge aufzuerlegen. Wenngleich sie dies im Nachhinein auch bereute, ordnete sie immer wieder neue an.
    Ach, dachte Hildegardis bitter, der Herr Jesus ist schon sehr weit von mir entfernt.
    Wie hatte sie nur so zynisch und hart werden können? Vom unschuldigen Mädchen, dessen Leben durch ein erzwungenes Gelübde zerstört wurde, war sie zur mächtigen, aber verbitterten Äbtissin geworden – ein langer, peinvoller Weg. Wie schon so oft zuvor dachte sie wieder einmal über das Los der Frauen nach. Gar wenige Möglichkeiten boten sich ihnen: Magd, Bedienerin im Bad und Hebamme; Ehefrau, vermählt mit einem Mann, den man sich nicht aussuchen konnte; Mutter, bis man im Kindbett starb … heilkundiges Kräuterweib, das man womöglich der Hexerei beschuldigte …
    Und Äbtissin. Sofern man einem adligen Geschlecht entstammte.
    Doch sie war eine heißblütige Frau, die sich nach Leidenschaft sehnte. Nach einem Mann, in dessen Armen sie ihre Begierde stillen konnte. Wie so oft spürte sie allein schon beim bloßen Gedanken daran ein quälendes Pochen zwischen ihren Schenkeln, ein Ziehen in ihrem Schoß. Mitunter berührte sie sich des Nachts an dieser sündigen Stelle. Eine Verfehlung, die sie ihrem

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