Die Pilgergraefin
Wenn er jedoch Attenfels das Geld zurückerstattete, würde dieser gewiss den Mund halten. „Gemach, gemach, Ihr bekommt Euer Silber zurück. Zwar schulde ich Euch ein erkleckliches Sümmchen, das ich an Euch verloren habe. Doch ich gebe Euch mein Wort als Graf von Eschenbronn: Ich werde Euch alles zurückzahlen.“
„Euer Wort in Gottes Ohr“, erwiderte der Baron zynisch. „Ihr wisst, wie unsere Abmachung lautet: entweder Leonor oder Eure Schwester Gisela. Und wie Ihr sehr wohl wisst, zählt diese erst dreizehn Lenze.“
Lothar fletschte die Zähne. „Niemals werde ich zulassen, dass Gisela in Eure schmutzigen Hände fällt!“
Kuno von Attenfels stieß einen gotteslästerlichen Fluch zwischen den Zähnen hervor. Dies war nunmehr der dritte Wirt, der auf seine Frage nach einer Pilgergruppe den Kopf geschüttelt hatte. Er ballte die Hände in seinen Reithandschuhen zu Fäusten. Unmöglich, dass die Wallfahrer weiter als bis zu diesem Weiler gekommen sein konnten.
Immerhin ritt er ein schnelles Pferd und hätte die Pilger bereits gestern einholen sollen – samt seiner süßen Beute, der schönen Gräfin mit der Alabasterhaut.
„Vielleicht wollten die Wallfahrer gar nicht nach Rom, sondern sind gen Trier aufgebrochen, um dort am Heiligen Rock unseres Herrn Jesus Christus um Vergebung …“
„Halts Maul, du Einfaltspinsel“, fuhr Attenfels den Mann an und hob dabei drohend die Faust.
Rasch duckte sich Vinzenz, um dem Schlag zu entgehen. Er hatte doch nur hilfsbereit sein wollen. Doch statt einer Münze zum Dank drohten ihm nun Prügel. Schnell verzog er sich in sein Gasthaus.
Hart riss Attenfels seinen Rappen herum, gab dem armen Tier so heftig die Sporen, dass es vor Schmerz aufwieherte – was ein befriedigtes Grinsen auf den Lippen seines Reiters erscheinen ließ –, und galoppierte durch die Pfützen der Dorfstraße davon. Dass er dabei die Passanten mit dem übel riechenden Nass, in dem Fäkalien schwammen, bespritzte, kümmerte ihn nicht.
Einerseits enttäuscht, dass seine Beute ihm entgangen war, andererseits voller Vorfreude, trat er den Rückweg an.
Gewiss, Leonor war schöner als Lothars Schwester Gisela, doch diese hatte den Vorzug, noch fast ein Kind zu sein – und jungfräulich!
Er leckte sich über die schmalen Lippen und verschönte sich den Heimritt mit allerlei Fantasien, wie er seine Gelüste an Gisela befriedigen würde, sobald Lothar sie ihm zur Gemahlin gegeben hatte. Da er ihn in der Hand hatte – das „kleine Geheimnis“ konnte den Schwachkopf Leib und Leben kosten –, zweifelte er keinen Augenblick daran, dass das Mädchen die Seine werden würde.
Leonor lag auf ihrem Strohsack in dem riesigen Schlafsaal, zusammen mit rund zwei Dutzend Pilgern – denn neben der eigenen Gruppe hatte noch eine zweite hier im Kloster Unterkunft genommen. Sie fand keine Ruhe, was verschiedene Gründe hatte. Zum einen schnarchte nicht nur Anna neben ihr, sondern auch die anderen gaben die merkwürdigsten Geräusche von sich, die von Ächzen und Seufzen bis hin zu Furzen reichten. Leonor schüttelte sich angewidert. Dergleichen war sie nicht gewohnt. Würde sie sich in den kommenden Tagen, Wochen oder gar Monaten je an solche Unterkünfte gewöhnen können? Dass sie noch mit viel Schlimmerem vorliebnehmen müsste, kam ihr gar nicht in den Sinn. Auf der Burg ihrer Eltern hatte sie ebenso wie Cathérine ihre eigene, komfortabel ausgestattete Kammer gehabt und nach ihrer Vermählung ein schönes Ehegemach, das sie mit Konrad geteilt hatte.
Konrad …
Nein, sie wollte jetzt nicht wieder an ihn und ihre Schuld denken. Und doch – hatte sie das Richtige getan, sich den Pilgern anzuschließen und diesen Bußgang zu unternehmen? Ach, schon am ersten Abend kamen ihr Bedenken, aber der Gedanke an die beiden anderen Möglichkeiten – Kloster oder Baron Attenfels’ Gemahlin zu werden – zerstreute diese wieder.
Das Stroh, mit dem ihr Nachtlager gefüllt war, pikte und stach sie, sodass sie sich unruhig hin und her wälzte. Ein Strohsack! Wann hatte eine Gräfin je auf einem Strohsack geschlafen? Sei nicht so hoffärtig! rief sie sich selbst zurecht. Tausende Menschen haben kein besseres Nachtlager, ja, sie sind sogar froh darüber, wenigstens eine solche Unterlage zu haben und nicht auf der nackten Erde schlafen zu müssen. Um sich abzulenken von dem unbequemen Schlafplatz und dem Gestank menschlicher Ausdünstungen, der in dem Raum herrschte, sowie ihren schmerzenden Gliedern und den
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