Die Pilgergraefin
„Her mit Gold und Waffen, oder Ihr seid des Todes!“
Robyn, die Hand am Knauf seines Schwertes, fragte lächelnd: „Und wer seid Ihr, werter Herr? Womit glaubt Ihr, mein Schwert und mein Gold verdient zu haben?“
Verblüfft ob dieser unerschrockenen und wohlgesetzten Rede, zauderte der Anführer des erbärmlichen Häufleins.
Geschickt nutzte Robyn den Moment und sagte leise etwas zu Jérôme. Und zwar im Dialekt ihrer Heimat, von dem er annahm, dass die Burschen hier in der Mitte des Landes ihn nicht verstanden.
Kurz fuhr der Knappe auf und protestierte in eben jener Mundart. „Aber Chevalier, es ist ein Leichtes, diese armseligen Gestalten zu Brei zu schlagen.“
„Tu, wie ich dir vorher geheißen habe, oder ich schicke dich heim zu deiner Frau Mutter. Nicht immer ist es das Klügste, zum Schwert zu greifen.“
Sogleich sank Jérôme in sich zusammen, zog die Kapuze tief ins Gesicht und fing an, laut zu stöhnen.
Ob des Wortwechsels misstrauisch geworden, wandten die Strauchdiebe, die ihn bisher nicht beachtet hatten, ihm ihre Aufmerksamkeit zu.
Robyn, der zur Vorsicht weiterhin die Hand am Heft seines Schwertes behielt, sprach erneut zu dem Anführer. „Wie Ihr seht, geht es meinem Knappen nicht gut. Nun, ich bin kein Medicus, deshalb mag ich nicht zu sagen, ob die Beulen an seinem Leib …“, er machte eine bedeutungsvolle Pause, „… von der Pest herrühren. Und ob die bräunlichen Stellen an seiner Hand die ersten Zeichen vom Aussatz sind. Deshalb will ich ihn in ein Kloster bringen, wo sich fromme Mönche um ihn kümmern sollen. Doch seht selbst. Was haltet Ihr von den braunen Flecken?“
Jérôme zog seinen Reithandschuh aus und streckte die Hand aus, die ein bräunlicher Fleck – der von seinem Sturz herrührte – zierte.
„Pest, Aussatz!“, schrien die Wegelagerer entsetzt, wendeten ihre klapprigen Gäule und preschten, so schnell die mageren Tiere zu laufen vermochten, in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.
Robyn grinste seinen Knappen an. „Das ist eine Lektion, lieber Jérôme, die du dir hinter deine ungewaschenen Ohren schreiben solltest! Auch wenn man mit dem Schwert umgehen kann und sicher ist, den Kampf für sich entscheiden zu können, so taugt doch eine Finte oftmals mehr als rohe Gewalt. Kein Tropfen Blut musste fließen, und wir können unbehelligt unseren Weg fortsetzen.“
Mit seinen großen hellblauen Augen und geöffnetem Mund starrte Jérôme den Chevalier an, den er bewunderte, seit dieser zum Kurier des Königs avanciert war.
„Ihr seid nicht zu schlagen, Sieur. Weder auf dem Turnierplatz, noch wenn es darum geht, mit Wort und List einen Kampf zu gewinnen.“ Und durch die Begegnung mit dem Räuberpack von seinen Schmerzen abgelenkt, fuhr er fort: „Darf ich Euch etwas fragen, Chevalier? Etwas, worüber ich bereits des Öfteren nachgedacht habe.“
Robyn grinste. Oho, sein Knappe hatte nachgedacht. Steckte vielleicht doch mehr in dem Burschen, als es den Anschein hatte?
„Nur zu, Jérôme, was möchtest du wissen?“
„Nun, ich … ich habe überlegt, wie es wohl dazu gekommen ist, dass Ihr, obwohl Ihr ein Mann seid, der mit dem Schwert vorzüglich umzugehen weiß, einer List oftmals den Vorzug gebt.“
Robyn lachte. „Ganz einfach, mein Guter. Ich habe nicht vor, in der Blüte meiner Jahre zu sterben. Auch wenn die Stunde des Todes natürlich allein in Gottes Hand liegt. Dennoch empfiehlt es sich, bevor man zur Waffe greift, gut zu überlegen, ob man die Situation auch auf unblutige Weise lösen kann.“
„Aha!“ Jérôme kratzte sich am Kopf. „Verstehe. Ihr seid so ganz anders als die Ritter auf der Burg meines Vaters, denen es immer nur darum ging, möglichst viele Feinde abzuschlachten. Und je größer das Gemetzel war, desto besser schien es ihnen zu gefallen. Ihr hingegen seid nicht am Blutvergießen und an Grausamkeiten interessiert, und ich frage mich, was der Grund hierfür ist.“
Eine so lange Rede hatte er von seinem Knappen während der gesamten Reise noch nicht vernommen. Robyn überlegte kurz, wie er ihm am besten antworten konnte. „Vor vielen Jahren, ich war noch ein Knabe von etwa zehn Sommern, nahm mein Vater mich und meine älteren Brüder mit zu einer Hinrichtung. Ein Mann, der seinen Vater erstochen hatte, um an dessen Vermögen zu gelangen, wurde aufs Rad geflochten. Seine Schmerzensschreie habe ich nie vergessen. Ich verbarg mich hinter meinem Vater, um den Schrecken nicht mit ansehen zu müssen, doch meine
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