Die Pilgergraefin
auf sie herabbrennenden Sonne voran. Längst war Leonors Haut nicht mehr so milchweiß wie in den Tagen auf Burg Eschenbronn.
Doch da sie als Wallfahrerin keinen Silberspiegel zur Hand hatte, wusste sie auch nicht, dass sie nunmehr leicht gebräunt war – eher wie eine Magd, die Ziegen hütete, denn wie eine Gräfin. Doch Anna hatte ihr halb lachend, halb tadelnd von den Sommersprossen berichtet, die sich auf ihrer Nase gebildet hatten, und aus ihrem Bündel ein Töpfchen mit Selleriesalbe hervorgeholt, die unter anderem auch gegen Sommersprossen helfen sollte. Liebevoll hatte sie die Mixtur, die sie in der Stadt zusammen mit einem neuen Beutel nebst Inhalt für Leonor auf dem Markt erworben hatte, auf den Wangen und der Nase ihrer jungen Herrin verteilt. Daran musste Leonor nun denken, als die Bergsonne ihr in die Augen stach.
Derweil quälten sie jedoch noch ganz andere Sorgen. Inzwischen war sie vollkommen sicher, dass Pater Anselm diesen Weg nicht gewählt hatte und dass sie und Anna nunmehr auf sich allein gestellt waren. Mitten im Hochgebirge, wo außer ein paar Murmeltieren und ziegenartigen Kreaturen – ihr Gemahl hatte diese einmal als Gemsen bezeichnet – offenbar niemand hauste!
Manchmal kreiste ein Adler majestätisch am blauen Himmel. Und mitunter ertönte ein Todesschrei, der verriet, dass der Raubvogel Beute geschlagen hatte.
Etwas Trost spendete Leonor allein die Aussicht, dass der Pfad bald seinen höchsten Punkt erreicht haben musste und danach der Abstieg beginnen würde. Indes irrte sie auch in diesem Punkt, wie sie alsbald herausfinden musste. Lächelnd wandte sie sich an ihre Kammerfrau und sprach ihr Mut zu.
Gehorsam, doch gequält nickte Anna und versuchte, den Schmerz in ihrem Leib zu ignorieren, der sie nun schon seit einiger Zeit peinigte. Sie vermutete, an demselben Leiden erkrankt zu sein, an dem auch ihre Mutter gestorben war. War dies die Strafe für die Sünde, die sie als junge Frau begangen hatte? Ihrer Herrin, die glaubte, sie, Anna, sei frei von jeglicher Schuld, hatte sie nie davon erzählt. Das stand ihr, der Kammermagd, auch gar nicht zu. Während die Erinnerung an ihre Missetat im Lauf der vergangenen Jahre immer mehr verblasst war, kehrte sie nun mit Vehemenz zurück. Lag dies daran, dass ihre Lebensspanne vielleicht nur noch kurze Zeit währte? Pater Anselm hätte sie beichten können. Denn auf einmal spürte sie das Bedürfnis, ihre Verfehlung zu gestehen und sich jemandem anzuvertrauen.
Schweren Schrittes und noch schwereren Herzens folgte sie ihrer Herrin den steilen Pfad hinauf. Wie viele solcher beschwerlichen Aufstiege mochten wohl noch vor ihnen liegen?
„Ich hab ihn!“, rief Richard zu den Pilgergefährten nach oben. „Lasst das Seil zu mir herunter.“
Ottwald, der Stärkste der Gruppe, hatte sich ein dickes Seil um den Leib geschlungen, dessen anderes Ende er nun in die Tiefe warf.
„Lebt er denn noch, der ehrwürdige Pater?“ Die schrille Stimme von Helene gellte Richard in den Ohren.
„Ja, sein Brustkorb hebt und senkt sich“, erwiderte er. „Indes mag er sich einige Knochen gebrochen haben.“ Sorgsam wand er das Seil um die Mitte des Paters und befahl dann: „Zieht an. Aber seid vorsichtig. Wir wollen ihm nicht noch mehr Pein zufügen und ihn dadurch womöglich aus seiner gnädigen Ohnmacht wecken.“
Mit vereinten Kräften zogen Ottwald und Ludwig den Verletzten den steilen Hang hinauf, während Richard mühsam an vorstehenden Felsnasen und knorrigem Wurzelwerk nach oben kletterte und Gotthilf, der sich um die ihm scheinbar zustehende Führungsposition gebracht sah, ihn dabei mit großartig klingenden, aber völlig nutzlosen Ratschlägen zur Weißglut brachte.
Endlich mit zerschürften Händen oben angekommen, gesellte sich Richard sofort zu den anderen, die sich bereits um den wie leblos daliegenden Pater geschart hatten.
Helene kreischte und jammerte, schlug die Hände zusammen und rief immer wieder: „Oh, Gott, er wird sterben. Was soll nun aus uns werden? Wie sollen wir denn jetzt jemals nach Rom gelangen?“
„Schweig still, Weib!“, fuhr Richard sie an. „Lasst uns überlegen, was zu tun ist.“ Er beriet sich mit Ottwald und Ludwig, die ihm die Vernünftigsten der Pilgergruppe zu sein schienen. „Dieser Weg führt hinunter ins Tal“, meinte er. „Es ist zu vermuten, dass wir dort in einen Weiler gelangen, wo dem Pater und uns Hilfe zuteilwird.“
Bedächtig nickte Ottwald, der zwar stark, aber auch ein wenig langsam
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